Dein ist der Tod
vor ihr aufbaute, erinnerte er sie eher an ein Erdmännchen.
»Auf dem Weg nach oben war ich dort«, entgegnete Mia freundlich. »Es hieÃ, der neue ist heute Abend fertig.«
Unverwandt sah sie ihm in die Augen. Wenn er gekommen war, um sie erneut anzuschnauzen, weil sie ihren Ausweis verlegt hatte, würde die Sache anders ausgehen. Nach dem, was letzte Nacht passiert war, brachte sie ein Anschiss ihres Bosses heute bestimmt nicht an den Rand der Tränen.
»Wie ich höre, hatten Sie gestern einen ereignisreichen Abend.« Nun klang er selbstgefällig.
Mia seufzte innerlich. Sie hatte nicht gewollt, dass in der Arbeit über letzte Nacht gesprochen wurde, aber das lieà sich natürlich nicht vermeiden. Ihr Name hatte zwar nicht in der Zeitung gestanden â ein Wunder, an dem Ric Santos vermutlich nicht ganz unbeteiligt gewesen war â, aber das Polizeiwesen und alles, was damit zu tun hatte, war eine eng vernetzte Gemeinschaft, in der sich Klatsch und Tratsch in Windeseile verbreiteten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Arbeitskollegen die Identität der ungenannten »Mitarbeiterin des Delphi Center« kannten, die Zeuge des gestrigen Mordes gewesen war.
»Ist es wirklich in Ordnung, wenn Sie heute hier sind?«, fragte Snyder. »Sie können sich gerne einen Tag freinehmen, wenn Sie sich nicht hundert Prozent auf dem Damm fühlen. Ich möchte nicht, dass Ihre Arbeit darunter leidet.«
So, so. Insgeheim wünschst du dir doch, dass meine Arbeit leidet, denn dann hättest du einen Vorwand, mich loszuwerden. Doch so wie die Dinge standen, gab es nichts an Mias Leistung auszusetzen, und nur deswegen hatte er ihren einzigen kleinen Fehler in zwei Jahren beim Delphi Center dermaÃen aufgeblasen: Sie hatte ihren Werksausweis diese Woche im Fitnessstudio verloren. Deswegen hatte Snyder ihre »unbotmäÃige Nachlässigkeit in Sicherheitsfragen« zum Anlass genommen, auf ihr rumzuhacken.
»Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte sie. »Hundert prozentig.« In der Hoffnung, er würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen, nahm sie ihre Laborbrille und setzte sie auf.
Doch er stützte beide Hände auf ihren Schreibtisch. »Sie bekommen übrigens gleich ein Päckchen von der Beweismittelabteilung. Eigentlich sogar drei Päckchen, alle vom Präsidium San Marcos.«
»Okay.«
»Es geht um einen Mord. Die Bezirksstaatsanwältin hat mich am Mittwoch angerufen und ausdrücklich darum gebeten, Sie mit der Sache zu betrauen. Ich hab ihr gesagt, wie viel Sie derzeit zu tun haben« â so als wäre Mias langsames Arbeiten der Grund für die Verzögerungen der Gentests im ganzen Land â, »aber sie hat darauf bestanden. Vielleicht weibliche Solidarität.«
Mia biss sich auf die Lippe. Am Mittwoch. Also hockte er seit zwei Tagen auf dieser Information, wahrscheinlich nur um der Bezirksstaatsanwältin zu zeigen, dass er sich nicht herumkommandieren lieÃ. Serviceorientierung? Zum Teufel damit. Und zum Teufel auch mit den Ermittlern, die auf die Ergebnisse warteten und die Familie des Opfers vertrösten mussten.
»Ich mach mich sofort daran«, sagte Mia und hoffte erneut, dass er den Hinweis begriff.
»Gut.« Er nickte kurz. »Tun Sie das.«
Ric fand sie in der Besenkammer, die sie Arbeitszimmer nannte: ein fensterloser Raum gleich neben dem riesigen Genlabor des Delphi Center. Mia behauptete, gern hier zu arbeiten, weil es dunkel war und sie oft verschiedene Lichtquellen benutzte. Ric hegte jedoch auch den Verdacht, dass sie einen Hang zum Einsiedlerischen hatte.
Das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, eine Laborbrille auf der Nase und Gummihandschuhe an den Händen, stand sie an ihrem Arbeitstisch. Ein heller Deckenstrahler war auf die Arbeitsfläche gerichtet, wo sie mit einem Elektrokabel hantierte. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie das Kabel, während sie es hin und her bog.
»Ãbst du Knoten für die Segelprüfung?«
Sie fuhr zusammen und legte sich eine Hand auf die linke Brust. »Mein Gott, erschreck mich doch nicht so!«
»Entschuldigung.« Eigentlich hätte er sich denken können, dass sie heute etwas schreckhaft war. »Ich bring dir nur den Nachmittagskaffee.«
Sie beäugte ihn skeptisch. »Wer hat dich überhaupt raufgelassen?«
»Sophie.« Er stellte den Kaffeebecher auf ihren Schreibtisch. »Ich hab gesagt,
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