Dein ist der Tod
Heidenangst eingejagt. Mach das nie wieder, hörst du? Was hast du da überhaupt gemacht? Gehtâs dir gut, ja?«
Erneutes Nicken. »Ich hab mir die Python angeschaut. Die ist immer noch drin, obwohl du gesagt hast, dass geschlossen ist. Eine Boa ist auch drin. Und eine Gilaechse.«
»Wir haben uns groÃe Sorgen gemacht.« Sie schüttelte ihn an den Schultern. »Du darfst nicht einfach so weglaufen. Ich wusste überhaupt nicht â¦Â« Mitten im Satz brach sie ab und starrte ihn an.
»Was ist das an deinem Mund?«
Sam sah zu Boden.
»Sam? Was hast du gegessen?«
»Ein Snickers.« Er sprach so leise, dass es kaum zu hören war.
»Woher hattest du das?«
»Das hat mir der Mann gegeben.«
»Welcher Mann? Wer war das?
»Der Mann im Reptilienhaus.«
5
Ganz leise schloss Mia die Tür zum Gästezimmer und schlich auf Zehenspitzen durch den Gang. Dabei hörte sie, wie vor ihrem Haus ein Auto vorfuhr, und sie linste genau in dem Moment, als Ric ausstieg, durch die Jalousien. Sie hatte es geahnt. Bei der Verabschiedung in der Notaufnahme hatte eine innere Stimme geflüstert, dass er sie heute Abend besuchen würde. Allerdings hatte ihr das womöglich keine innere Stimme verraten, sondern sein entschlossener Blick.
Sie öffnete die Haustür, damit Sam nicht vom Klingeln geweckt wurde.
»Wie gehtâs ihm?« Ehe er ins Haus kam, trat Ric sorgfältig seine schlammbespritzten Stiefel ab. Was er auch in den vergangenen vier Stunden gemacht haben mochte, er war offenbar drauÃen gewesen.
»Er schläft.« Sie schloss die Tür und sperrte ab. »Aber bis es so weit war, musste ich ihm drei Geschichten und ein ellenlanges Kindergedicht vorlesen.«
»Und wie gehtâs dir?«
»Gut.«
Er blieb in der Diele stehen und sah ihr in die Augen â vermutlich um herauszufinden, ob das auch stimmte. Es stimmte nicht.
Sie drehte sich um und ging in die Küche. Hinter sich hörte sie Rics Stiefel auf den Pecan Holzdielen knarren.
»Hast du schon mit deiner Schwester gesprochen?«
»Sie hat angerufen, als wir in der Notaufnahme waren. Die Kindertherapeutin und der Sozialarbeiter haben ihr versichert, dass es keine Anzeichen für sexuellen Missbrauch oder so gibt. Der Kerl scheint ihm wirklich nur den Schokoriegel gegeben zu haben.
»Wer war diese Therapeutin?«
»Connie irgendwas.« Mia hob den Deckel von einem Suppentopf und rührte um. Dampf stieg auf â und der Duft von Hühnchen und Rosmarin erfüllte die Küche. »Ich hab ihre Karte. Sie hat gesagt, ich kann jederzeit anrufen, falls was ist. Aber sie ist überzeugt, dass nicht mehr dahintersteckt. Der Mann hat ihn nicht angefasst.«
»Klingt alles ganz harmlos.«
Mia lieà den Deckel auf den Topf fallen und fuhr herum. »Ein Mann, der kleine Jungs mit Schokoriegeln in einen dunklen abgesperrten Raum lockt, dürfte kaum harmlos sein. Wie kannst du nur so was sagen!«
»Ich sag doch nicht, dass der Typ harmlos ist. Das ist er bestimmt nicht. Ich wollte nur sagen, dass Sam heute Glück gehabt hat.«
Mia verschränkte die Arme vor der Brust und sah zu Boden. Sie war frustriert und wütend und wusste nicht, wohin mit ihren Gefühlen. Am meisten ärgerte sie sich über sich selbst, darüber, dass sie Sam aus den Augen gelassen hatte. Sie ärgerte sich über den perversen Typen, der ihn angesprochen hatte. Und über ihre Schwester, die ihr vorgeworfen hatte, nachlässig zu sein und nur an sich zu denken.
»Hey.« Ric trat einen Schritt auf sie zu und wartete mit in die Hüften gestemmten Händen vor ihr, bis sie den Blick hob. »Das ist doch nicht deine Schuld.«
Sie wandte den Kopf zur Seite.
»Komm schon, du hast nichts gemacht.«
»Ich habâs aber auch nicht verhindert, oder? Zum Glück hab ich keine Kinder. Als Mutter wär ich eine Katastrophe.«
»Quatsch! Du wärst bestimmt ganz toll.«
»Ja, klar.« Sie rieb sich die Nase, und plötzlich wurde ihr wieder schlecht. Jedes Mal wenn sie daran dachte, was alles hätte passieren können, wurde ihr übel. Auf ihrem Arbeitstisch hatte schon viel zu viel Kinderkleidung gelegen, sie hatte schon zu viele mit Aktenzeichen und Barcodes versehene Teddys und Kinderdecken gesehen â alles Beweisstücke nach furchtbaren Verbrechen.
»Komm her.« Ric zog sie an sich und schlang die Arme um sie.
Weitere Kostenlose Bücher