Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)
aufzulesen, das ihn in diese Situation gebracht hat. Fragt sich, was zum Henker er damit erreichen will und wie schlimm das alles enden wird.
»Folgen Sie Ihrem Instinkt, mein Junge«, sagt Tressider und scheint das Interesse zu verlieren. »Dann können Sie nichts falsch machen. Wie auch immer, es war mir ein Vergnügen. Mrs Pharaoh, ich freue mich auf unsere nächste Begegnung, und Aector – spreche ich das richtig aus? –, es freut mich sehr, zu hören, dass Sie unverletzt geblieben sind. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
Er wendet sich ab. Gabelt Davey auf wie ein Tornado, der Rinder mitreißt, und fegt aus der Tür, ein gutmütiger Wirbelwind.
»Ich habe Lust, Ihnen weh zu tun«, sagt Pharaoh endlich. »Ich werde es nicht tun, aber heute Nachmittag wird ein Teil von mir bedauern, dass ich Ihnen keine Kopfnuss verpasst habe. Ich hoffe, das ist Ihnen klar?«
McAvoy senkt den Blick. Bleibt stumm.
»Hatten Sie vor, es mir irgendwann mal zu erzählen?«, fragt sie.
»Da gab es nichts zu erzählen. Eigentlich nicht.«
Sie stößt einen frustrierten Seufzer aus. »Als hätten wir nicht genug zu tun.«
»Ich mache es in meiner Freizeit.«
»Sie haben keine Freizeit, Aector. Sie stecken bis über beide Ohren in Drogendealern und Babys. Erst gestern hat dieser Arsch da mir gesagt, dass er in einem Vierteljahr einen Rückgang der Gewaltverbrechen sehen will. Und Sie wollen unbedingt aus einem Selbstmord einen Mord machen?«
»Ich muss nur kurz nachforschen, Chefin …«
Pharaoh wirft die Hände in die Luft. Sieht zur geschlossenen Tür hin, als stünde Tressider immer noch da. Sie zuckt die Achseln. Scheint sich zu einem Entschluss durchzuringen.
»Scheiß drauf. Ich bin ja nur mit peripheren Aspekten befasst. Wie der Boss gesagt hat, folgen Sie Ihrem Instinkt. Graben Sie nach. Und wenn Sie die Verbrechensstatistik aufblähen, war alles Colin Rays Schuld. Abgemacht?«
McAvoy lächelt.
»Abgemacht.«
Die Elemente hatten aus Hull eine Stadt mit grotesk hässlichen Bewohnern gemacht. McAvoy hatte noch nie so viele Gesichter zu Grimassen verzerrt gesehen. Büroangestellte, die den Wind anknurrten. Leute, die mit ihrem Mikrowellen-Abendessen von Marks & Spencer kamen und den Regen anfauchten. Die ganze Altstadt schien in sich zusammenzuschrumpfen.
Es ist gerade Mittag vorbei. Hier in Whitefriargate, an der Peripherie des Stadtkerns, sollte es von Einkaufsbummlern nur so wimmeln. Aber bei diesem Wetter steckt niemand freiwillig die Nase ins Freie. McAvoy hat fast die ganze breite, elegante Einkaufsstraße für sich allein. Er ist einer der wenigen Menschen, die nicht die Augen nach unten gerichtet haben. Er lässt den Blick über die oberen Etagen schweifen und erfreut sich auf dem Weg ins Museums- und Hafenviertel an der Architektur: elegante alte Kaufmannspaläste, die reichverzierte Fassade der Bank an der Ecke Parliament Street. Er gibt sich ein paar Tagträumen hin. Stellt sich vor, wie diese Straße in Hulls besten Tagen aussah, real, nicht in der Erinnerung.
Er ist froh, dass er zu Fuß gegangen ist. Spürt die Stadt gerne unter seinen Füßen. Wünscht sich, sein Ziel läge weiter entfernt.
Die Akten zum Fall Simon Appleyard sind noch nicht elektronisch verarbeitet worden, und die Originalpapiere liegen beim Coroner’s Court. Er genießt den Spaziergang. Freut sich auf ein oder zwei ruhige Stunden, während er sich in die letzten Momente eines vor der Zeit beendeten Lebens vertieft.
Seine Stiefel hinterlassen große Abdrücke auf dem Kopfsteinpflaster, das vom endlosen Regen die Farbe von glänzendem Lehm angenommen hat.
Aus einer Metzgerei springt ihn der Duft von Grillhähnchen am Spieß an. Er merkt, dass er seit gestern nichts mehr gegessen hat. Notiert sich im Geiste, das Roisin gegenüber zu erwähnen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, ihr etwas zu verheimlichen. Fragt sich dann, ob sie das nicht unter Druck setzen würde, ihm etwas zu kochen, sobald er zur Tür herein ist. Ob sie denkt, dass er ihr Schuldgefühle einflößen will? Vielleicht sollte er ihr besser beichten, dass sie letzte Nacht nur deshalb zu einem Tanzkurs gegangen sind, damit er herausfinden konnte, warum jemand ein Mobiltelefon begraben wollte.
Er fragt sich, ob auch andere Leute solche Empfindungen haben. Wünscht sich dringend, er hätte eine Ahnung, wie man das Leben lebt.
Er tanzt im Kopf Salsa, während er sich der Gegend mit dem ansprechenden Namen »Land of Green Ginger« nähert. Die kleine
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