Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)
die Fotodateien. Wischt sich rasch durch Hunderte von Partybildern; Neonlicht und Schatten; schwitzende Körper und Verstärker, halbleere Gläser und kreischende Mädchen.
Öffnet eine weitere Datei. Urlaubsfotos. Hepburn in blauen Speedos auf einer Sonnenliege mit irgendwas Exotischem, Fruchtigem im Glas. Zwei junge Männer, die in die Kamera lächeln: nackte, sonnengebräunte Oberkörper. Eine Gestalt auf einem Jetski, weit draußen auf dem blauen Meer …
McAvoy kann sich nicht helfen. Er öffnet den Ordner mit der Bezeichnung »Spaß«.
Er muss nicht lange suchen. Die Fotos sind überdeutlich.
Nacktes männliches Fleisch. Harte Schwänze und entblößte Hinterteile, feuchte Münder und Körperhaare.
Männer, die sich lieben.
Er erkennt Hepburn. Über beide Ohren grinsend. Ein Mann, der Spaß hat.
Öffnet noch einen Ordner. Wieder dasselbe. So viel nackte Haut.
Eine neue Nachricht wird angezeigt.
Er kann nicht anders. Er öffnet sie.
Hätte dich heute Nacht gebraucht. Du wolltest anrufen. X
Die Mitteilung stammt von einem Kontakt namens MC. McAvoy notiert sich die Nummer. Greift nach seinem Laptop. Gibt die Nummer einhändig bei Google ein, während er Simon Appleyards mit der anderen in das Mobiltelefon tippt.
Es gibt keinen Treffer auf Hepburns Telefon. Nichts, das ihn mit dem Toten verbindet.
Er sieht auf den Laptop. Schließt die Augen.
MC ist Stadtrat. Mark Cabourne. Vizevorsitzender des Bauausschusses und Angehöriger der Polizeidirektion. Beauftragter für Gesundheit und Gleichstellung, Vorstandsmitglied des Yorkshire Flood Defence Committee, des Komitees zur Flutvorsorge. Ein Gesicht. Ein Name. Ein ehemaliger Raumplaner, der in die Politik ging.
Er versucht, die Hintergründe zu begreifen. Bemüht sich, die Konsequenzen dieser Kette von Halb-Entdeckungen und neuen Fragen abzuschätzen. Zwei Kollegen, die sich simsen? Na und? Vielleicht ist das »X«, der Kuss, ein Zufall. Vielleicht hat die Mitteilung keinen sexuellen Hintergrund. Vielleicht geht ihn das alles auch überhaupt nichts an.
Er schaltet das Handy aus. Trifft eine Entscheidung.
Mühsam wuchtet er seinen schmerzenden, erschöpften Körper hoch. Seine Frau wartet darauf, dass er sich richtig bei ihr bedankt. Morgen ist auch noch ein Tag. Der Regen hat sich verzogen, und keines seiner Vergehen kann gesühnt werden.
Plötzlich spürt er ein Vibrieren an seiner Brust. Möchte am liebsten weinen, als er sein Handy hervorzieht.
»McAvoy? Hier ist Helen. Helen Tremberg. Gerade ist mir Shaz Archer über den Weg gelaufen. Detective Inspector Archer, was soll’s. Colin Ray verfolgt eine Spur. Vermutet, der Junge, hinter dem wir her sind, ist bei den Zigeunern auf den Sportplätzen. Es gibt eine Verbindung zu Rourke. Er ist schon Ewigkeiten weg. Hatte keine Verstärkung dabei. Shaz Archer ist ihm nachgefahren. Ich glaube, Sie sollten lieber kommen …«
Kapitel 19
24 : 00 Uhr. Punkt Mitternacht.
McAvoy rennt über nasses Gras. Schlamm spritzt ihm auf die Hose und schwappt gegen seine Stiefel, während ein saurer Geschmack in seiner Kehle aufsteigt.
Er hört Hunde bellen. Erhobene Stimmen. Gutturales Gelächter.
Aus zusammengekniffenen Augen späht er nach vorne, wo der Halbkreis aus Wohnwagen steht. Dunkle Gestalten sind in die Finsternis eingeätzt. Das Licht, das durch die Vorhänge der Wohnmobile dringt, tanzt und flackert auf dem Gewimmel parkender Autos.
Tremberg hat ihn unterwegs informiert und musste schreien, damit er sie in dem schuldbewusst ans Ohr gepressten Handy verstehen konnte, während der kleine Wagen auf der Schnellstraße an die 120 km/h heranheulte.
Colin Ray war es durch reines Glück gelungen, eine Verbindung zwischen Alan Rourke und dem improvisierten Roma-Lagerplatz herzustellen, an dem McAvoy am Tag, als der Regen anfing, ein so peinliches Erlebnis hatte. Er ging in einer Pause des endlosen »Kein Kommentar«-Verhörs die Liste von Rourkes bekannten Kontaktpersonen durch, die ihm einer der zivilen Mitarbeiter auf den Schreibtisch gelegt hatte. Gerade als Tremberg hereinkam, schlug er die Akte eines Mannes namens Daragh Fitzroyce auf, dem Täter eines bewaffneten Raubüberfalls, und sie erkannte auf dem Polizeifoto sofort den Anführer des Roma-Lagers wieder, das in Anlaby so viel Wirbel verursacht hatte. »Butterblümchens Besitzer«, erklärte sie dem verdutzten DCI lächelnd, bevor sie merkte, dass der große, grauhaarige, übellaunige Detective von dem Vorfall noch gar nichts gehört hatte, und auch
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