Dein Kuss in meiner Nacht
ohne zu zögern getötet hätte, wenn er nur die Hände an ihren verfluchten Hals legen könnte. »Du weißt, dass ich es dir nicht sagen kann, doch wenn du oder einer deiner Schergen Faith auch nur ein Haar krümmt, dann werde ich dich mit meinen eigenen Händen töten!«
Narjana lachte laut und warf den Kopf dabei in den Nacken. Plötzlich verstummte sie und beugte sich zu ihm vor. Ihre violetten Augen blitzten warnend.
»Du wirst deine Sturheit schon noch ablegen, mein liebster Cole. Ich werde dafür sorgen, dass du singst. Ich bekomme, was ich will, und ich werde unsterblich. Das ist ein Versprechen!«
Mit diesen Worten erhob sie sich und verließ die Zelle. Die Seeker gingen nach ihr und verschlossen die schwere Eisentür hinter sich. Cole stieß einen wütenden Schrei aus und warf sich in seine Ketten. Er war außer sich. Das Geheimnis um die Koordinaten für P77M war ihm an seinem achtzehnten Geburtstag anvertraut worden. Er trug die Verantwortung für den Schutz der verbannten Welt. Das Tribunal war zu der Überzeugung gekommen, dass niemandem der Zugang zur Quelle der ewigen Jugend gewährt werden durfte, denn es war ein hoher Preis mit der Unsterblichkeit verbunden. Jeder, der von dem Jungbrunnen trank, verlor seine Seele und damit jeden Funken von Menschlichkeit. Eine solche Person würde wirklich keinerlei Skrupel mehr haben und zu einer Bedrohung für alle existierenden Welten werden. Was aber noch wichtiger war: Wer die Unsterblichkeit erlangt hatte, konnte den Lavastrom unversehrt durchqueren, der das Schwert der Macht beschützte.
Narjana hatte das Schwert zwar nicht erwähnt, doch falls sie davon wusste, dann war sie auf mehr aus, als nur auf Unsterblichkeit. Mit dem Schwert der Macht würde sie herrschen über alle Welten. Sie wäre einer Göttin gleich. Das durfte niemals geschehen. Selbst wenn es bedeutete, dass er Faith würde opfern müssen, um sein Geheimnis zu hüten. Der Gedanke quälte ihn wie ein Stachel in seinem Herzen. Er hoffte wider besseres Wissen, dass Narjana Faith nicht in dieses Spiel mit hineinziehen würde. Doch genau das würde sie tun. Seine einzige Chance war, von hier zu fliehen. Nur wie? Diese verdammten Ketten waren unnachgiebig, und er spürte, wie die unnatürliche Haltung mit den nach oben gestreckten Armen bereits an seinen Kräften zerrte.
***
Ich musste irgendwann wieder eingeschlafen sein, denn ich erwachte, als jemand mich unsanft schüttelte. Verwirrt und leicht panisch öffnete ich die Augen. Ich erwartete beinahe, Ron über mir zu sehen, der sich an mir vergreifen wollte, während Mum schlief. Doch das Gesicht, in das ich blickte, war mir unbekannt. Es gehörte einer älteren Frau mit mürrischem Gesichtsausdruck und dunklen, stechenden Augen.
»Steh schon auf, faules Weib. Schluss mit dem Luxus. Jetzt wird es Zeit, dass du was arbeitest, um dir Bett und Essen zu verdienen. Also hoch mit dir. Auf!«, fuhr sie mich an.
»Was zur Hölle ...«, begann ich zu erwidern, als sie mir ohne Vorwarnung ins Gesicht schlug.
Ich schwankte zwischen Unglauben, Wut und Erstaunen über die überraschende Kraft und Schnelligkeit der Alten. Der Schlag war so fest gewesen, dass mir das Ohr dröhnte und ich Blut schmeckte von meiner Lippe, die seitlich aufgeplatzt war.
»Wirst du jetzt wohl? Oder muss ich dich auspeitschen lassen?«, keifte die Alte.
Erschrocken sprang ich aus dem Bett. Ein Teil von mir wollte sich gegen diese rabiate Behandlung wehren, doch ich wusste nicht, wo ich war und mit wem ich es hier zu tun hatte. Ich war nicht mutig genug, weitere Strafen zu riskieren, ich wusste ja noch immer nicht, was hier eigentlich vor sich ging. Offenbar war ich erst einmal von dem guten Willen dieser Frau abhängig.
»Zieh das an!«, befahl die Alte und hielt mir eine Art Tunika aus einfachem, hellbraunem Stoff entgegen. »Mach schon!«
Ich wollte protestieren, doch entschied mich dazu, erst einmal zu tun, was von mir verlangt wurde. Also zog ich widerstrebend meine Kleidung aus und schlüpfte in die Tunika. Der Stoff kratzte ein wenig auf der Haut und hing wie ein Sack an mir, doch ich hatte keine Wahl. Seufzend blickte ich an mir hinab. Ich war beinahe froh, keinen Spiegel zu haben. Sicher sah ich nicht sehr vorteilhaft aus in dem Ding. Mit gemischten Gefühlen drehte ich mich zu der Alten um, die keinen weiteren Blick an mich verschwendete, sondern mich grob am Arm packte und unsanft hinter sich herzog.
Draußen brannte die Sonne erbarmungslos auf mich hinab, und
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