Dein Kuss in meiner Nacht
nicht wusste, wo ich wirklich war und wie ich wieder nach Hause kommen konnte, war es besser, sich irgendwie einzugliedern, um zu überleben.
»Komm. Das Essen hier ist wirklich gut. Solange du keine Probleme machst, lebt es sich eigentlich ganz gut in Saja ign Jana. Glaube mir, ich hab schon ganz anderes erlebt. Ich bin erst seit drei Jahren hier. Vorher war ich in Kuruk ign Zah. Das ist eine kleine Stadt bei den Zah-Minen. Dort musste ich in den Minen arbeiten, seit ich sechs Jahre alt war. Die Aufseher dort sind grausam, und die Unterkünfte und das Essen sind furchtbar. Meine Mutter starb, da war ich zwölf, nachdem sie wegen einem kleinen Vergehen zweihundert Hiebe bekommen hatte.«
»Du meinst, sie wurde zu Tode gepeitscht?«, fragte ich fassungslos.
Murias nickte.
»Was ... was hat sie denn getan?«
»Ich erzähle es dir nach dem Essen. Es ist eine lange Geschichte. Wir müssen jetzt los, sonst bekommen wir nichts mehr.«
Ich bemerkte, dass alle anderen schon gegangen waren, und nickte. Murias führte mich über den Marktplatz zu einem Zelt am Rande des Platzes. Eine Schlange von Männern und Frauen, alle in den gleichen, eintönigen Tuniken, hatte sich vor der Essensausgabe gebildet. Es dauerte, bis wir an die Reihe kamen. Eine rundliche Frau mittleren Alters füllte uns die Teller mit einer Art Braten, etwas, das aussah, wie ein Gemüse und hellorangefarbenes Brot. Ein junger Mann schenkte uns eine goldfarbene Flüssigkeit in tönerne Becher, dann betraten wir das Zelt und gingen an etlichen langen Tischreihen vorbei, bis wir einen Platz in der hinteren Ecke fanden.
Das Essen war tatsächlich sehr gut. Das Fleisch schmeckte wie Rindfleisch und das Gemüse, das aussah, wie grüne Karotten, schmeckte wie eine Mischung aus Kohl und Kartoffeln. Auch das Brot mit der etwas gewöhnungsbedürftigen Farbe schmeckte frisch und war angenehm gewürzt. Zum Dessert wurden Früchte herumgereicht, die wie Datteln aussahen und schmeckten, jedoch kleiner waren und von milchig weißer Farbe. Bei dem Getränk schien es sich um eine Art verdünntes Bier zu handeln. Es war leicht bitter und zuerst fand ich es ein wenig ungewohnt, da ich sonst keinen Alkohol trank. Doch nach ein paar Schlucken fand ich es sehr erfrischend und der Alkoholgehalt schien nicht sehr groß zu sein, zumindest spürte ich keine unangenehme Wirkung, außer, dass ich ein wenig schläfrig wurde.
»Willst du noch immer die Geschichte meiner Mutter hören?«, fragte Murias.
Ich nickte und nahm noch einen großen Schluck von dem Mota, wie das Getränk hieß.
»Ich war krank geworden und konnte nicht arbeiten«, begann Murias. »Mein Fieber wollte nicht runtergehen. Das Gesetz in den Minen besagte, dass jemand, der nicht arbeiten konnte, nur die halbe Ration bekam und dies auch nur drei Tage. Danach wurde man nicht mehr versorgt, was in den meisten Fällen dazu führte, dass die betroffene Person starb. Ich war schon drei Tage krank, und obwohl meine Mutter mir einen Teil ihrer Ration gab, wurde ich nicht gesund. Als man am dritten Tag meine Ration absetzte, stahl meine Mutter Essen und Trinken für mich. Sie schaffte es vier Tage lang und ich war bereits fast genesen, als man sie erwischte. Sie wurde sofort zu zweihundert Peitschenhieben verurteilt. Man zwang mich, bei der Vollstreckung des Urteils zuzusehen. Nach zwanzig Hieben brach meine Mutter zusammen, da band man sie am Pfahl fest, so dass sie aufrecht bleiben musste. Ich konnte den Anblick nicht ertragen Ihr ganzer Rücken war eine einzige rohe Wunde, ab manchen Stellen konnte man ihre Knochen sehen. Es war furchtbar.«
Ich konnte Murias ansehen, wie sehr die Erinnerung sie aufwühlte, und legte eine Hand auf ihren Unterarm.
»Es tut mir leid«, flüsterte ich und sie nickte.
***
Die Tür zu seiner Zelle öffnete sich und Narjana erschien mit vier Seekern, die vor der Tür stehen blieben. Cole schloss die Augen. Es war erst einige Stunden her, dass sie ihn gefoltert hatten. Was hatte dieses Biest jetzt schon wieder vor?
»Hallo, mein Hübscher«, erklang Narjanas Stimme direkt vor ihm. Er öffnete die Augen, um sie mit einem eisigen Blick zu bedenken, doch sie grinste nur und strich mit ihrem Zeigefinger über seine Brust abwärts bis zum Bund seiner Hose.
Cole versuchte, seinen Hass zu benutzen, um sich von ihrem Tun zu distanzieren, doch sein Körper reagierte, als sie ihre Hand in seinen Schritt legte. Triumphierend blickte sie zu ihm auf.
»Es ist wirklich jammerschade, dass du
Weitere Kostenlose Bücher