Dein Kuss in meiner Nacht
kleine Rast riskieren.
Wir suchten uns eine Stelle im hohen Gras in der Nähe des Baches und legten uns hin. Ich rollte mich zusammen wie ein Baby und hörte, wie Cherryl leise vor sich hin fluchte.
»Was?«, fragte ich genervt.
»Das ist so hart hier«, jammerte sie. »Morgen hab ich bestimmt überall blaue Flecken. Und irgendwelches Ungeziefer in den Haaren. Vielleicht hätten wir doch bis zu der Stadt mitfahren sollen. Dort hätten wir bestimmt was Bequemeres zum Schlafen gehabt. So hab ich mir das Ganze nicht vorgestellt.«
»Kannst ja zurückgehen«, knurrte ich gereizt. »Und in der Stadt hätten die uns nur wieder eingesperrt. Vielleicht sogar noch Schlimmeres.«
»Ich bin nun mal Besseres gewohnt«, fauchte sie.
»Du bist eine verwöhnte Barbiepuppe!«, gab ich zurück.
»Glaub mir, sobald wir wieder zuhause sind, sind wir geschiedene Leute!«, giftete Cherryl.
»Ich kann es kaum erwarten«, schnaubte ich. »Und jetzt halt deine Klappe. Es war deine Idee, dass wir uns hier ausruhen, und jetzt würde ich genau das gern tun!«
Ich schlug die Augen auf, weil jemand meinen Namen gerufen hatte. Mit klopfendem Herzen lauschte ich in die Dunkelheit.
»Faith«, erklang es wieder.
»Cole?«, fragte ich. »Wo bist du?«
»Am Bach.«
Ich erhob mich und ging durch das hohe Gras zum Ufer des Baches hinunter. Er stand dort im fahlen Licht des Mondes und schaute mich an. Er trug nur schwarze eng anliegende Hosen, die etwas abgerissen wirkten. Er war barfuß und sein Oberkörper mit so vielen Wunden versehen, dass ich mich zurückhalten musste, nicht entsetzt aufzuschreien. Trotz der vielen Verletzungen lächelte er mich an.
»Wie kommst du hierher?«, fragte ich erstaunt.
»Im Traum ist alles möglich«, antwortete er und ergriff meine Hand. »Komm, setzen wir uns.«
»Ich … ich träume?«
»Ja.«
»Dann bist du gar nicht wirklich hier?«, fragte ich enttäuscht.
»Ich bin hier, so wirklich oder unwirklich wie du. Dies ist kein normaler Traum. Wir haben eine Traumbegegnung. Das ist mehr als nur ein normaler Traum, aber nicht wirklich eine Begegnung. Eher etwas dazwischen. Wir können uns sehen hören, fühlen – ich kann dir sogar Dinge geben, wie das Medaillon.«
Er streckte eine Hand aus und umfasste das besagte Schmuckstück, das ich um den Hals trug.
»Es ist gut, dass du es trägst. So können meine Eltern dich besser finden. Sie werden kommen, um dich zu retten und nach Hause zu bringen.«
»Und was ist mit dir?«, wollte ich wissen. »Warum kommst du nicht zu mir? Wo bist du? Was tun diese Leute mit dir und warum?« Ein Teil von mir fürchtete die Antwort. «Du … du bist nicht … tot … oder?«
Er lächelte und strich mir sanft über die Wange. Es fühlte sich gut an. Beruhigend. Mein Herz fing an, schneller zu klopfen. Ich hatte schon oft gehört, wie die Mädchen an meiner Schule von diesen Schmetterlingen im Bauch berichtet hatten. Auch in den Romanen, die ich las, kam das stets vor, doch ich hatte es nie selbst verspürt. Nicht vor Cole.
»Nein, Kerima . Ich lebe«, antwortete Cole auf meine Frage. »Auch wenn ich nicht versprechen kann, dass es so bleibt. Ich werde versuchen, von hier zu fliehen und zu dir zu kommen, doch wenn ich es nicht schaffe, dann werden meine Eltern dich retten.«
»Wieso deine Eltern? Wer bist du überhaupt? Was bist du? Ich versteh das alles nicht. Und wieso versteh ich Sprachen, die ich nie zuvor gehört oder gelernt habe?«
»Es ist alles ziemlich kompliziert. Um es kurz zu machen: Es gibt viele Parallelwelten. Durch die Portale kann man von einer Welt in die andere gelangen und alle Sprachen verstehen, die dort gesprochen werden. Dein Körper und dein Gehirn werden sozusagen auf die Welt, in der du landest, eingestellt. Du verstehst dann nicht nur die Sprache, sondern dein Körper kann auch mit den veränderten Keimen und Erregern umgehen. Wäre das nicht so, würdest du wahrscheinlich gar nicht überleben können. Verstehst du?«
Ich nickte, obwohl mir das alles noch ein großes Rätsel war.
»Und was haben deine Eltern mit diesen ganzen Welten zu tun?«, fragte ich zögernd.
Cole schwieg kurz und räusperte sich dann.
»Wir gehören dem Tribunal an. Das Tribunal ist eine Organisation, die für Recht und Ordnung zwischen den Welten sorgt. Auf der anderen Seite ist die Umbra, eine verbrecherische Organisation. Ihre Seeker entführen Menschen aus verschiedenen Welten und verkaufen sie an Sklavenhalter. Sie handeln auch mit Drogen und Waffen und
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