Dein Kuss in meiner Nacht
Schmerz. Und weil du mir einen Grund gibst, zu überleben.«
»Aber wie willst du fliehen?«
»Indem ich sterben werde. Ich ...«
»Nein!«, schrie ich entsetzt. »Das darfst du nicht!«
»Shhht! Ist ja gut«, sagte er und drückte mich fest an sich. »Hör mir doch erst einmal zu Ende zu. Ich habe von meinem Mentor eine Gabe gelernt, die kaum jemand beherrscht und niemand außer ihm und mir weiß, dass ich diese Gabe habe. Ich kann meine Körperfunktionen abschalten. Zumindest für eine gewisse Zeit. Wenn sie mich für tot halten, werde ich fliehen. Das einzige Problem ist, dass ich irgendwie an ein Portal kommen muss. Besser wäre ein Portalbuilder, damit ich … Ach, das ist alles zu kompliziert zu erklären. Ich werde es schon irgendwie schaffen. Geht ihr nur weiterhin am Bach entlang und ich komme nach so schnell ich kann.«
»Was sind das für Leute in dem Camp?«, wollte ich wissen.
»Entflohene Sklaven wie ihr und Kleinkriminelle. Doch keine Angst, es ist sicher dort. Es gibt einen Kodex, der besagt, dass alle, die um Hilfe bitten, aufgenommen werden müssen, und niemand in dem Camp darf einen anderen Bewohner verletzen oder berauben, sonst verliert er sein Aufenthaltsrecht. Ihr seid also in Sicherheit dort. Das sind Leute, denen ihr trauen könnt.«
»Wie weit ist es noch bis dahin?«
»Zwei Tage.«
»Es ist ziemlich anstrengend mit Cherryl«, sagte ich seufzend.
Cole kicherte.
»Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte er. »Sicher jammert sie dir die Ohren voll.«
»Oh ja, das tut sie«, gab ich kichernd zurück. »Sie beschwert sich über jeden abgebrochenen Fingernagel, und dass kein Restaurant um die Ecke ist, und sie mit Fisch vom Lagerfeuer zurechtkommen muss. Schon witzig, sie mit Fingern essen zu sehen. Ich glaube, sie ekelt sich echt davor, doch der Hunger ist wohl größer als die Abneigung.«
»Du hast Fisch gefangen? Wie?«
»Mit dem Speer. Ich hab das mal von einem Freund gelernt.«
»Und Feuer machen kannst du auch«, sagte er anerkennend. »Ich hab mir gleich gedacht, dass mehr in dir steckt. Warum bist du in der Schule so unsicher? Du hast mehr auf dem Kasten, als die anderen Mädchen.«
»Weil ich nun mal anders bin. Unscheinbar und ...«
»Unscheinbar?«, fragte Cole und schaute mich ungläubig an. »Du denkst, dass du unscheinbar bist?«
»Nun ja, ich bin eher mollig und meine Haare sind nie zu bändigen und ...«
»Du bist nicht mollig«, unterbrach er mich, »sondern kurvig, und deine Haare sind … sie sind irgendwie … sexy.«
»Findest du?«, fragte ich unsicher. »Ich meine, wenn ich mich mit Cherryl und so vergleiche … Die sind so schlank und immer gestylt und so viel hübscher und ...«
Weiter kam ich nicht, denn Cole zog mich an sich und küsste mich unerwartet. Mein Herz schlug schneller und meine Gefühle fuhren Achterbahn. Ich fühlte mich wirklich unattraktiv, doch Cole küsste mich so leidenschaftlich, dass ich mich plötzlich ganz anders fühlte. Begehrt. Sexy. Es war ein wundervolles Gefühl. Ich legte meine Hände auf Coles Brust und konnte seinen schnellen Herzschlag spüren. Als er sich von mir löste, waren seine Augen ganz dunkel, und er atmete genauso schwer wie ich. Fühlte er dasselbe wie ich? War es für ihn auch so … berauschend, aufregend?
»Sag nie wieder, dass du nicht attraktiv bist. Siehst du nicht, wie sehr ich dich will? Was du mit mir machst?«
»Du meinst, du willst mit mir …?«
Den Gedanken zu Ende zu sprechen traute ich mich nicht. Der Gedanke war aufregend, doch auch beängstigend. Ich war mir nicht klar, ob ich schon dazu bereit war.
Er lächelte und wich meiner Frage aus. »Ich hab dir schon gesagt, dass ich altmodisch in dieser Sache bin.«
Offenbar machte ich einen etwas enttäuschten Eindruck, denn er küsste mich sanft auf die Stirn und sagte: »Denk nicht, dass ich nicht will. Okay? Ich will es mehr als irgendetwas anderes auf der Welt. Aber ich will es richtig. Zur richtigen Zeit unter den richtigen Umständen.«
Ich nickte. Einerseits froh und andererseits enttäuscht.
»Ich fürchte, ich muss schon wieder gehen«, seufzte Cole und schaute mir eindringlich in die Augen. »Warte auf mich im Camp. Ich werde euch in ein paar Tagen eingeholt haben.«
Dann küsste er mich erneut. Diesmal ganz sanft und zart. Ich schloss die Augen und wünschte mir, dieser Moment würde nie zu Ende gehen.
»Bis bald«, flüsterte er, dann war er verschwunden.
K
apitel 6
Am nächsten Tag erreichten wir gegen Mittag eine Stelle,
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