Dein Kuss in meiner Nacht
es«, stimmte ich widerwillig zu. »Doch jetzt sollten wir sehen, dass wir weiterkommen.«
»Können wir erst noch was essen? Wer weiß, wann wir wieder was kriegen.«
»Ja, natürlich. Aber danach gehen wir wieder auf die andere Seite.«
Wir aßen so viele Beeren, wie wir konnten, und packten unsere Sachen. Dann gingen wir zurück zur Brücke. Mein Herz setzte einen Schlag aus und neben mir stieß Cherryl einen Schrei aus.
»Sieht so aus, als würden wir auf dieser Seite weitergehen müssen«, meinte sie schließlich. »Ich bin nur froh, dass die Brücke nicht schon eingekracht ist, als wir sie überquert haben.«
Mir wurde übel, als ich auf die Überreste der Hängebrücke starrte, die von der Felswand hingen. Ich fragte mich, wie die Brücke über Nacht einstürzen konnte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass hier etwas faul war. Mir kroch es kalt den Rücken hinab vor Unbehagen und ich verschränkte schützend die Arme vor meiner Brust. Ich blickte kritisch in Richtung des Waldes. Irgendwie sah er auf einmal gar nicht mehr so freundlich aus und es kam mir vor, als würden tausend Augen mich beobachten.
›Das ist doch albern‹, ermahnte ich mich selbst.
Ich sollte mich besser zusammenreißen. Ändern konnte ich jetzt eh nichts mehr. Vielleicht, wenn wir ganz nah an der Schlucht entlanggehen und so weit wie möglich vom Wald fern bleiben würden?
»Okay«, sagte ich schließlich. »Aber wir nähern uns nicht dem Wald und halten uns dicht an der Schlucht.«
Ich hoffte, irgendwo weiter vorn würde wieder eine Möglichkeit zum Überqueren auftauchen, denn sonst würden wir das Camp nicht erreichen können. Im Stillen verfluchte ich mich dafür, auf Cherryls Vorschlag eingegangen zu sein. Cole hatte eindeutig gesagt, wir sollten die Schlucht nicht überqueren. Ich hatte gedacht, eine Nacht, am Rande, fern vom Waldrand, würde schon in Ordnung gehen. Jetzt hatten wir den Salat.
Das einzig Gute war, dass der Weg viel angenehmer zu laufen war. Er war breit und eben. Hin und wieder gab es Schatten spendende Bäume und gegen Mittag erreichten wir einen Platz, an dem wieder Erdbeeren wuchsen, und eine weitere kleine Quelle ermöglichte uns, unsere Flasche erneut aufzufüllen. Es schien wirklich paradiesisch hier auf dieser Seite und ich wunderte mich, warum Cole uns davor gewarnt hatte.
Zwei Stunden später ergab sich ein ernsthaftes Problem. Eine weitere Schlucht zweigte von der Schlucht neben uns ab und versperrte uns den Weg.
»Großartig«, stöhnte ich. »Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als am Rand dieser Schlucht langzugehen und zu hoffen, dass wir irgendwo wieder rüberkommen.«
»Warum willst du so unbedingt auf die andere Seite ?«, fragte Cherryl. »Nur wegen deinen blöden Träumen?«
»Auf der anderen Seite würden wir heute auf ein Camp treffen, in dem andere entflohene Sklaven leben. Dort hätten wir Unterkunft und Verpflegung und wären sicher, bis Cole uns retten kommt.«
»Ja, sicher«, erwiderte Cherryl sarkastisch. »Cole, unser Traumretter. Ich glaube, dir ist irgendetwas nicht bekommen. Die Sonne oder so. Außerdem glaube ich, dass dein lieber Cole ein ganz mieser Scheißkerl ist. Er ist der Grund, warum wir hier sind. Er muss ein Monster sein oder so was.«
»Das ist er nicht. Er ist ein ...« Ich verstummte. Was sollte ich sagen? Cherryl würde mir ohnehin nicht glauben, wenn ich ihr von den Shadowcastern und all dem Zeug erzählen würde.
»Also, was nun?«
»Wir gehen hier entlang«, erwiderte ich grimmig. »Was bleibt uns anderes übrig?«
Mit jedem Schritt, den wir uns in die falsche Richtung bewegten, wurde ich missmutiger. Wenn ich nicht auf Cherryl gehört hätte, würden wir heute sicher und bequem schlafen und gut essen. Stattdessen kamen wir dem Wald, den wir eigentlich meiden sollten, immer näher. Er sah ganz normal aus, doch ich spürte, dass etwas Dunkles von ihm ausging. Ich konnte nicht erklären, warum. Vielleicht war es auch einfach nur, weil Cole mich gewarnt hatte. Ich hoffte, dass ich ihm heute Nacht wieder begegnen würde, und dass er uns weiterhelfen konnte. Offensichtlich kannte er sich hier aus.
***
Coles Plan war aufgegangen. Als er scheintot von den Seekern vorgefunden worden war, hatten sie ihn von den Ketten gelöst und in einen anderen Raum gebracht, um sein Begräbnis vorzubereiten. Egal wie niederträchtig die Diener der Umbra waren, hatten sie in der Hinsicht dennoch ihre Prinzipien. Er hätte am Morgen darauf begraben werden sollen,
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