Dein Kuss in meiner Nacht
von sich und Cole schaute auf das Display. Er runzelte die Stirn.
»Was ist?«, wollte ich wissen.
»Eine Nachricht von der Zweigstelle. Der Direktor will, dass ich noch mal vorbeikomme. Er will etwas mit mir allein besprechen. Ich frage mich, was es damit auf sich hat.«
»Vielleicht ist es ja gar nichts Wichtiges«, warf ich ein.
»Wenn es nicht wichtig wäre, dann würde er nicht darauf bestehen, dass ich jetzt noch komme«, sagte Cole. »Macht es dir etwas aus, hier ein oder zwei Stunden allein zu sein? Ich würde dich ja mitnehmen, aber da würdest du dich dann im Wartezimmer langweilen müssen.«
»Ich les hier noch ein wenig in dem Tagebuch meiner Mum«, sagte ich. »Das hatte ich ohnehin vor.«
»Okay«, sagte Cole seufzend und küsste mich auf die Wange, ehe er sich von der Couch erhob. »Ich komme so schnell wie möglich zurück.«
Ich machte mir noch einen Tee ehe ich mich mit dem Tagebuch auf die Couch flegelte. Es war viel zu ruhig im Haus und so machte ich mir etwas Musik an. Cole hatte mir gezeigt, wie man die Media-Box bediente, mit der man Filme und Musik abspielen konnte. Eigentlich funktionierte sie nicht viel anders, als mein MP3-Player zu Hause. Nachdem ich mir eine ruhige Musik ausgesucht hatte, schlug ich das Tagebuch auf. Ich blätterte vor bis zu der Stelle, an der ich zuletzt aufgehört hatte, und begann zu lesen. Je mehr ich las, desto näher kam mir meine Mum. Sie hatte eine schöne Art, ihre Gefühle zu beschreiben und auch wenn sie mich leider nie zu sehen bekommen hatte, so machten die Zeilen sehr deutlich, wie sehr sie mich geliebt hatte. Wenn sie nicht von mir schrieb, dann schwärmte sie von meinem Dad. Nur wenn die intimeren Details kamen, blätterte ich verschämt weiter. Ich fand, dass dieser Bereich ihres Lebens nur sie allein etwas anging.
Beim Lesen vergaß ich vollkommen meinen Tee, bis er fast kalt geworden war. Hin und wieder musste ich das Lesen kurz unterbrechen, um mir die Tränen abzuwischen. Aber es gab eine Stelle, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Hatte sie etwas geahnt? Ich las die Stelle drei Mal und mein Herz schmerzte mich bei ihren Worten.
Ich hatte heute Nacht einen seltsamen Traum. Ich habe beschlossen, Sem nichts davon zu erzählen. Es würde ihn nur beunruhigen. In meinem Traum war ich in einem Raum, den ich als Krankenhauszimmer erkannte. Sem saß dort mit einem Baby auf dem Arm. Unserem Baby. Ich konnte nicht sehen, ob es ein Mädchen oder ein Junge war, doch es hatte das gleiche, kupferfarbene Haar wie ich. Das seltsame an dem Traum war, dass ich vor Sem stand und ihn ansprach, doch er hörte mich nicht. Er saß dort und weinte. Seine Tränen fielen auf das Köpfchen des Babys und er hörte gar nicht mehr auf zu weinen. Ich legte meine Hand auf seine Schulter, doch er reagierte nicht. Ich kann den Traum nur so deuten, dass ich sterben werde. Bei der Geburt? Vielleicht. Wahrscheinlich!
Ich habe das Gefühl, dass ich mein Baby nie in meinen Armen halten werde. Alles, was ich habe, ist die Zeit davor. Ich hoffe, falls es ein Mädchen wird, dass sie eines Tages einen so wundervollen Partner finden wird wie ihren Vater. Sem ist der beste Mann, den ich mir wünschen kann …
Ich kann es ihm nicht sagen. Es würde ihn umbringen. Aber ich habe mir vorgenommen, die beste Frau und Mutter zu sein, solange ich noch kann.
Ich legte das Buch beiseite und erhob mich von der Couch. Ich musste mir meine Nase putzen. Danach ging ich ins Bad und musterte mein verquollenes Gesicht im Spiegel. Wenn Cole jetzt nach Hause käme, würde er sich sicher wundern, warum ich so verheult aussah.
Seufzend drehte ich den Wasserhahn auf und beugte mich hinab, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Nachdem ich mich wieder halbwegs menschlich fühlte, drehte ich das Wasser ab und trocknete mein Gesicht mit einem Handtuch ab.
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Ich schreckte hoch. Cole konnte es nicht sein. Er würde wohl kaum den Code für die Tür vergessen. Aber wer sonst kam um diese Zeit noch hierher? Mir wurde ein wenig mulmig zu Mute, doch es half nichts, ich musste zumindest durch ein Fenster schauen und sehen, wer da draußen stand. Wer auch immer es war, würde mich von außen nicht sehen können, da das Glas nur von innen durchsichtig war.
Mit klopfendem Herzen schlich ich zur Tür und blickte durch das Fenster daneben. Draußen stand ein Mann. Er sah eigentlich recht normal aus. Aber Schurken sahen ja auch nicht immer nach Schurken aus.
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