Dein Kuss verraet mir alles
das Video gekauft. Seit er diesen Film gesehen hatte, wollte Cag kein Schweinefleisch mehr essen, weder Schinken noch Wurst, noch Speck. Und er vermieste es jedem, der es aß.
Das war einer der Widersprüche in dem komplizierten Mann. Er hatte vor nichts, aber auch gar nichts Angst, doch offensichtlich hatte er tief in seinem Inneren ein weiches Herz verborgen. Tess würde dieses Herz niemals entdecken, weil Cag sie nicht mochte. Sie wünschte bloß, sie wäre um ihn herum nicht so befangen. Andererseits waren es die meisten.
Heiligabend fiel auf einen Freitag, und Tess servierte ein wahrhaft fürstliches Festessen mit allem Drum und Dran. Die verheirateten Harts fingen mit ihrer eigenen Weihnachtstradition an, deshalb war die Familienfeier am Heiligabend.
Tess aß mit ihnen, weil alle vier Brüder empört dreingeblickt hatten, als sie für sich das Geschirr auf den Küchentisch setzte.
Sie hatte vorgehabt, mit der verwitweten Mrs. Lewis zu essen, die fast jeden Tag kam, um aufzuräumen und zu putzen, wie überhaupt all die Hausarbeit zu tun, für die Tess keine Zeit fand.
Es war sehr demokratisch von den Brüdern, fand Tess, und es war schön, nach außen hin zur Familie zu gehören, auch wenn es nicht die eigene war. Mrs. Lewis ging nach Hause zu ihren Kindern, die sie über das Fest besuchten. Also wäre Tess alleine in der Küche gewesen.
Sie zog das beste Stück an, das sie besaß, ein hübsches, rot kariertes Kleid. Aber es war billig gewesen, und so sah es auch aus im Vergleich zu dem Kleid, das Dorie Hart trug. Die Familie strengte sich besonders an, um ihr die Befangenheit zu nehmen.
Doch erst als sie mit dem Nachtisch anfingen, den Kürbis-und Pecan-Pies und der großen dunklen Früchtetorte, machte Tess sich keine Sorgen mehr um ihr Kleid. Ein jeder schloss sie mit in das Gespräch ein. Wenn Cag nicht geschwiegen hätte, wäre es perfekt gewesen. Aber er sah sie nicht einmal an. Tess versuchte angestrengt, sich nicht darum zu kümmern.
Sie bekam Geschenke, noch eine unerwartete Freude, als Bescherung für ihre selbstgemachten. Für das Hart-Ehepaar hatte Tess Bordüren für zwei Kissenbezüge gehäkelt, die sie außerdem noch in den Farben des Schlafzimmers bestickt hatte.
Sie hatte vorher Dorie danach ausgefragt. Tess machte wunderschöne Häkelarbeiten. Für Doris kleinen Jungen hatte sie in ihrer Freizeit schon einiges gehäkelt.
Die Geschenke, die sie erhielt, waren nicht selbstgemacht, aber Tess mochte sie genauso. Die Brüder hatten für einen Wintermantel zusammengelegt. Er war aus schwarzem Leder mit Ärmelaufschlägen und Knöpfe bis zum Hals. Noch nie zuvor, in ihrem ganze n Leben hatte Tess etwas so Schönes gesehen, und sie musste unwillkürlich weinen. Die Frauen machten ihr ebenfalls Geschenke. Von Dorie bekam sie ein nach Blüten duftendes Parfüm und von Mrs. Lewis ein Designertuch in allen Schattierungen vom hellsten bis zum dunkelsten Blau.
Tess war richtig glücklich, während sie das Geschirr abräumte und sich in der Küche zu schaffen machte.
Leo blieb am Arbeitstisch stehen und zupfte an ihren Schürzenbändern mit einem ausgelassenen Grinsen.
“Wag es ja nicht”, warnte Tess ihn. Doch sie lächelte, bevor sie sich zurück zum Geschirrspüler drehte.
“Cag hat kein einziges Wort gesagt”, bemerkte Leo. “Er ist verschwunden, um mit Mack die Abzäunung vor dem Fluss entlangzureiten, bevor es ganz dunkel wird.” Mack war der Viehaufseher, ein Mann, der sogar noch schweigsamer war als Cag.
Die Ranch war so riesig, dass es mehrere Aufseher gab: für die Rinder, für die Pferde, eine Bedienungsmannschaft für die Maschinen, das Büropersonal, die Verkaufsleute. Es gab sogar einen Tierarzt auf Honorarbasis. Tess’ Vater war der Vorarbeiter für den Viehbestand gewesen während der kurzen Zeit, die er auf der Hart-Ranch bis zu seinem frühen Tod verbracht hatte.
Tess’ Mutter hatte sie verlassen, als Tess noch ein kleines Mädchen war. Sie war das Herumwandern leid geworden, das ihr Mann so liebte. In den letzten Jahren hatte Tess kein Wort von ihr gehört. Sie war froh darüber, und insgeheim hoffte sie, dass sie ihre Mutter niemals wiedersehen würde.
“Oh.” Sie stellte einen Teller in den Geschirrspüler.
“Meinetwegen?”, fügte sie leise hinzu.
Leo zögerte. “Ich weiß es nicht.” Er spielte mit einem Messer auf der Arbeitsplatte. “Cag ist nicht er selbst in letzter Zeit. Na ja”, verbesserte er sich mit einem schiefen Lächeln, “er ist es doch,
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