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Familienphotos schlägt er instinktiv der Familie des Vaters zu, die stadtbekannt für ihre Theologen ist. Der UrgroÃvater brachte es zum qâzi ol-qozât , zum Obersten Rechtsgelehrten der Stadt. Aber früher trugen in Isfahan fast alle Männer den Mantel und den Turban der heutigen Mullahs, fällt dem Enkel ein, jedenfalls alle, die die Schule besucht hatten, da es fast nur religiöse Schulen gab. Erst Reza Pahlewi, der Vater des letzten Schahs, hat den Klerus als Stand geschaffen, als er Ende der zwanziger Jahre ein Gesetz erlieÃ, wonach sämtliche Männer in der Ãffentlichkeit ausschlieÃlich westliche StraÃenanzüge zu tragen hatten â alle auÃer den Mullahs. Allein, wer war ein Mullah? Wer in der Moschee predigte oder an der Theologischen Hochschule lehrte, dem mochte die Antwort leichtfallen. Andere hingegen hatten zwar die theologische Ausbildung durchlaufen, übten jedoch einen bürgerlichen Beruf aus. Die Schrift legten sie dennoch aus. Wieder andere mochten nicht von einem auf den anderen Tag die Beine in lächerliche Röhren stecken, nur weil der Schah es befahl. Ein Onkel oder GroÃonkel des Vaters war nicht der einzige Iraner, der sich der Entscheidung verweigerte. Bis zu seinem Tod verlieà er sein Haus nicht mehr, zehn, zwanzig Jahre lang. Weder wollte er Mullah sein noch sich dem Schah beugen. Nur von Gott lieÃe ich mir die Kleidung vorschreiben, pflegte er zu sagen, um darauf hinzuweisen, daà der Koran keine Kleidervorschriften enthält. Nicht daà der Onkel oder GroÃonkel des Vaters liberal gewesen sein dürfte: Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts kämpften zwar viele Theologen für die Konstitutionelle Revolution, die 1906 eine demokratische Verfassung durchsetzte. Die gleichen Theologen, die in den Geschichtsbüchern dem progressiven Lager zugerechnet werden, vertraten theologisch häufig reaktionäre Ansichten. In der Familie des Vaters etwa, die antimonarchistisch eingestellt war, muà es einige Mullahs gegeben haben, die in Isfahan das Wort gegen die Bahais anführten. Der Onkel mütterlicherseits erzählte mir davon, als er mich in Isfahan zu den Gräbern und Moscheen unserer Vorfahren führte. Deshalb habe ich mich immer gefragt, ob auf dem Photo, das unsere Anfänge zeigt, genau jene Mullahs zu sehen sind, gegen die der UrgroÃvater mütterlicherseits wetterte, dessen Gegner. Doch nun ist er es selbst, Mohammad Schafi ChoyÃ, der sich den Handkuà verbat. Er hat einen langen schwarzen Bart, einen schwarzen Turban, einen schwarzen Mantel sowie ein Baby auf dem SchoÃ, dessen Kopf verwackelt ist, und lacht mit einer Zahnlücke im Mund, lacht herzhaft, nicht wie sonst die Iraner oder der Mann neben ihm, wahrscheinlich sein Bruder, die auf Photos immer den Würdenträger geben. Da die Menschen schneller alterten, schätze ich, daà er ungefähr so alt ist wie ich. GroÃvater sieht aus wie sechs oder sieben. Der Kleine neben ihm ist GroÃonkel Mohammad Ali, der als einziger verschüchtert auf den Boden schaut. Womöglich bilde ich mir den Ausdruck seines Gesichts nur ein, da ich seine Zukunft kenne. Alle drei Kinder, die in der ersten Reihe hocken, tragen zum langen Gewand eine runde Mütze, in der Form ähnlich wie die weiÃen Mützen der Mekkapilger, jedoch bestickt. GroÃvater blickt ernst wie ich auf dem Kindergartenphoto mit dem Freund, der bis heute der beste geblieben ist, von unten her mit leicht gesenktem Kopf, der gleiche skeptische Zug der Augenbrauen, verschränkt wie ich die Hände, hat allerdings im Unterschied zu mir den Mund geöffnet. Die Mutter hätte das Photo, das der älteste Freund auf eine Leinwand drucken lieÃ, am liebsten mitgenommen. Lange ging ihr Blick hin und her, von der Leinwand zum Sohn und umgekehrt. Und in der Hand hielt sie das Photos ihres Vaters, der so klein war wie ihr jüngster Enkel. Vielleicht wird es an einem der nächsten Tage mehr sein, was der Anruf bewirkt, vielleicht doch ein Besuch in Frankfurt, spätestens zum Begräbnis. Nein, von dem Begräbnis würde Navid Kermani erfahren, auch ohne gestern angerufen zu haben. Wie erwähnt, vermag er nicht mehr auseinanderzuhalten, für wen er etwas tut, wenn er zum Beispiel in Frankfurt anruft, ob für den Sterbenden oder das nächste Kapitel. Ein Anruf oder Besuch in Frankfurt gehörte selbst dann zum Roman, den ich schreibe, wenn Navid
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