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Rechtschreibprüfung funktioniert mehr, und den Text verarbeitet der Laptop so langsam, wie ein Zenmeister sein Essen verspeist, obwohl nicht einmal mehr das Synonymwörterbuch installiert ist. Wenn der Romanschreiber auf ein Photo scrollt, dauert es zwanzig Sekunden, bis es auf dem Bildschirm erscheint. Jedesmal ist er überrascht, schlieÃlich das Gesicht zu sehen, von István Eörsi, von Claudia Fenner, von Nikki Sudden. Wenn er das Geschwätzige streicht, wird die Datei handhabbar, ohne daà er je eine neue beginnen müÃte. Am Dienstag, dem 10. Januar 2007, fragt die Tochter um 13:19 Uhr, ob er sie nicht jetzt schon aus der Nachmittagsbetreuung abholen könne. Warum? Weil er sie so selten früher abholt und sie ihn so vermiÃt und ausnahmsweise und überhaupt. Es ist doch erst der zweite Schultag nach den Ferien. â Bitte, Papa. â Ist ja gut. Noch ein Telefonat, dann komme ich. â Ich warte im Hof. Er hat den Anruf schon zu lang hinausgezögert, schon fünf Tage seit dem letzten Versuch, als nur der Anrufbeantworter sich meldete. Es ist wie russisches Roulette, nur daà man allein spielt und auf einen anderen zielt. Die Frau des Soziologen kann um 13:27 Uhr nicht viel sagen, freut sich dennoch, sagt sie, über den Anruf wie schon über die GrüÃe, die er vor fünf Tagen auf dem Anrufbeantworter hinterlieÃ. Sie würde sich auch freuen, wenn er sich am Wochenende nochmals meldet. Selbstverständlich melde er sich, versichert der Orientalist in Köln und fügt hinzu, daà er auch nach Frankfurt kommen könne, sofern es dem Soziologen recht sei. Im Augenblick lasse sein Zustand keinen Besuch zu, antwortet sie. Dann löst sich der SchuÃ: Ich glaube, es geht zu Ende mit ihm. Also wird der Zustand des Soziologen auch später keinen Besuch zulassen. Vielleicht, so weist sie sich selbst zurecht, vielleicht ist es nur ein Anfall, der vorübergeht. Ihre Stimme klingt fest, gefaÃt, wie man so sagt. Das weist im Zusammenhang mit der Eile darauf hin, daà sie nur noch oder jedenfalls weitgehend und vordergründig am Funktionieren ist. Das kennt der Orientalist nun. Sie würde sich freuen, riesig freuen, am Wochenende mit ihm zu sprechen. Die Freude, die die Frau des Frankfurter Soziologen ihm bereitet, indem sie zweimal sagt, daà er ihr eine Freude bereiten würde, eine riesige Freude, schmeckt so ranzig wie alle Mitmenschlichkeit, die er im Roman zeigt, den ich schreibe.
Nicht einmal der Frau hat er vom Soziologen in Frankfurt erzählt, mit dem es zu Ende geht. Er holte die Tochter von der Schule ab, machte mit ihr Hausaufgaben, organisierte eine kleine Feier für seinen alten Philosophieprofessor, brachte die Tochter zum Judo und holte sie nicht wieder ab, weil er die Uhrzeiten verwechselte, versprach der Tochter, die im Dunkeln allein nach Hause fand, von wo sie im Büro anrief, zum Ausgleich einen Pfannkuchen, für den er eigens noch Eier und Mehl einkaufen ging, bereitete das Abendbrot zu, rief die Eltern an, machte die Wäsche, las der Tochter vor, tröstete die Frau, die keine Schmerzmittel nehmen darf, räumte die Küche auf, erledigte wie jeden Abend die Korrespondenz, die fast nur noch elektronisch und also im Akkord geschieht, dreiÃig Mails pro Stunde, das warâs und wäre das gleiche gewesen, wenn es nicht mit dem Soziologen in Frankfurt zu Ende ginge. Nach dem Moderator erkundigte er sich. Das hätte er wahrscheinlich nicht getan, wenn ihn der Anruf in Frankfurt nicht aus der Ruhe gebracht hätte (also doch!). Die Sekretärin antwortete, daà der Redakteur wohlauf sei und sich diese Woche mit ihr zu einem Kaffee treffen wolle. Die Mail an die Sekretärin, insgesamt sechs Sätze (Anreden und GrüÃe abgezogen), das ist alles, was die Nachricht, daà es mit dem Soziologen in Frankfurt zu Ende geht, am 10. Januar 2007 bewirkt hat.
Rechts unten ist GroÃvater, jetzt erst sieht er es, natürlich, die Ãhnlichkeit insbesondere mit dem Ophthalmologen. Der Enkel meinte, das Photo zeige die Familie des Vaters, der rechte der beiden Männer sei dessen GroÃvater, rechts unten der Junge dessen Vater. Der Irrtum, den seine Eltern aufdeckten, als sie vorhin das Abendessen brachten, war vermutlich entstanden, weil die beiden Männer und ebenso die beiden Jugendlichen neben ihnen das lange Gewand und den Turban der Mullahs tragen, die Männer auÃerdem den Bart. Mullahs auf
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