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Ãbung, die raschen, ruhigen Handgriffe, auch wie er mit der Frau spricht, mit den Schwiegereltern, seinen Brüdern, mit den Ãrzten. Er konzentriert sich darauf, zunächst das Notwendige zu tun, behält die Tochter stets im Blick, ob sie stabil ist, informiert später ohne Aufregung die Angehörigen, erledigt zu gegebener Zeit das Organisatorische, das Absagen einer Lesung in Marburg, des Massagetermins der Frau, eines Interviews im Radio, und beobachtet sich dabei selbst wie von oben. Zwischendurch Schübe des Pathos. Irgendwann wird einer von uns auf Handtüchern im Badezimmer liegen, der Notarzt wird klingeln und am Ende sein mit seinem Latein. Liebe ist das, nicht der ganze Schnickschnack, der in den Phantasien und Wutanfällen der Frau herumschwirrt, nicht einmal Sex: daà man da ist. Dann erst, dann sprich über Liebe, Hölderlin, wenn Liebe eine Lebensversicherung ist, mehr nicht, das ein und alles.
â Geht es Ihnen gut? fragt die männliche Stimme. â Nein, ich hatte zwei Herzinfarkte, sagt die weibliche Stimme ohne Umschweife. Indem er auf der Fahrt von den Augustinerinnen zur Schule, wo er um vier die Tochter abholt, nach langem wieder U-Bahn fährt, hört er, wie sich hinter ihm zwei ehemalige Kollegen eines Konzerns treffen, der seine Vertretung in Köln geschlossen hat. Die weibliche Stimme ging mit nach Frankfurt, wohnte aber weiter in Köln, der Familie wegen. â Ja, das tägliche Pendeln war anstrengend, bestätigt sie, dann die beiden Infarkte. Seitdem fährt sie nicht mehr nach Frankfurt. Zufällig wollen beide an derselben Haltestelle aussteigen. Der Mitfahrer hört noch, daà die männliche Stimme, die im Konzern offenkundig höhergestellt war (vielleicht Sachbearbeiter und die weibliche Stimme Sekretärin, oder Abteilungsleiter und die weibliche Stimme Sachbearbeiterin, sicherlich beide Stimmen in der Firma längst vergessen), daà der ehemalige Sachbearbeiter oder Abteilungsleiter die ehemalige Sekretärin oder Sachbearbeiterin fragt, wie lange er wohl schon aus der Firma geschieden sei und sie sich also nicht gesehen hätten, sie solle einmal schätzen. â Vierzehn Jahre, sagt die männliche Stimme, weil die weibliche Stimme keine Antwort gibt, vierzehn Jahre. Das muà lange vor der SchlieÃung der Kölner Vertretung gewesen sein. Der Mitfahrer dreht sich zur Tür der StraÃenbahn um und ist überrascht, einen eleganten Mann in schwarzem Sakko und offenem weiÃem Hemd zu sehen, wie es Fernsehphilosophen tragen, Stoppelbart und extravaganter Hut. Die Frau ist stämmig, rosa Winterjacke, die kurzen blonden Haare mit braunen Strähnchen durchsetzt, wie im deutschen Fernsehen das einfache Volk. Wie es ihm denn gehe, fragt sie den ehemaligen Kollegen. Er wohne jetzt in einem Altersheim. So alt sieht er gar nicht aus, frühpensioniert vermutlich. Es sei oft langweilig, richtig öde, nichts mehr zu tun, was wichtig wäre. Das Leben sei vorbei, sagt er, ohne daà es weinerlich klingt, eher nüchtern. Er meint wohl, daà Leute wie der Mitfahrer mittendrin sind, die selbst in der U-Bahn auf dem Laptop tippen müssen.
In der Wohnung ist das Klo übergelaufen. â Ihre Rohre sind ja so was von marode, schüttelt der Installateur den Kopf und sieht keinen anderen Ausweg, als die Wände und Kacheln im Bad aufzubrechen â als habe der Romanschreiber, Vater, Mann, Handlungsreisende, Freund und Navid Kermani nicht bereits genügend Baustellen. Daà er den Betrieb aufrechterhalten kann, verdankt er der Mutter, die im Haushalt das Kommando übernommen hat. Sie macht die Wäsche, macht den Haushalt, macht die Betten, macht das Essen, sie putzt sogar den Kot auf, der nicht aus dem Klo zieht. Wenn das Liebe ist, liebt ihn niemand wie sie.
Auf den Rückruf nicht mehr hoffend, den die Schwiegermutter angekündigt hatte, liest Navid Kermani den Namen des Sterbenden am Morgen des 18. Januar 2007 in einem Artikel über deutsche GroÃintellektuelle, die nicht mehr über den Irakkrieg reden wollen. »Ich behaupte aber, daà absolut jeder weiÃ, ob er nun für oder gegen den Krieg ist, daà Saddam all diese Waffen besitzt«, wird ein lebensfroher Sänger zitiert, der die Kriegsgegner 2003 als »Nationalpazifisten« verspottete, die »Frieden irgendwie geiler als Krieg finden«. Ein brillanter Schriftsteller redet sich damit heraus, daà die Planung
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