Dein Name
für die Nachkriegszeit »unter aller Sau« gewesen sei. Der Artikel fährt fort: »Daà die Schwächen der Nachkriegsplanung bereits vor dem Feldzug bekannt waren, daà gerade die hochfahrende Ignoranz der Falken gegenüber einer in Kriegen verrohten, durch das Embargo ausgelaugten irakischen Gesellschaft von vielen Kriegsgegnern als unkalkulierbares Risiko angeführt wurde, mag der Schriftsteller nicht kommentieren: âºSie stoÃen hier auf eine Wand!â¹ Dann beendete er das Gespräch.« Das Vergnügen, die Idiotie anderer ausgebreitet zu sehen, die allerdings mehr ist als Idiotie, nämlich: Mitschuld, die niedere Empfindung, recht behalten zu haben, verfliegt von der einen auf die andere Zeile, als Navid Kermani auf den Namen des Sterbenden in Frankfurt stöÃt, der ebenfalls als Kriegstreiber zitiert wird: »Nicht die Passagiere des âºeuropäischen Traumschiffsâ¹ oder die zahnlose UN könnten das Fundament für eine globale Gesellschaft schaffen, sondern allein die âºordnende Gewaltâ¹ des Hegemons Amerika.« Alle Versuche der Deutschen, die amerikanische Regierung zu schwächen, seien »Sünde«, der Irakkrieg »eine Art notwendige Wiedergutmachung für die narziÃtische Kränkung einer Supermacht, die sich â auch im Interesse der Welt â kein Anzeichen von Schwäche erlauben konnte«. Von Sünde sprach der Sterbende, den die Zeitung wahrscheinlich vergebens versucht hat zu erreichen, solch anmaÃende Kategorien also auch von ihm, der in den Gesprächen immer besonderen Wert darauf legte, den Realismus seiner Argumente aufzuzeigen. Die Logik seines Kriegsaufrufs ist metaphysisch aufgeladen, der Ton klerikal. Mit der gleichen Logik und Emphase verteidigen Terroristen den 11. September als Wiedergutmachung für den Kolonialismus, die Ausbeutung der Dritten Welt, die amerikanische Nahostpolitik oder Srebrenica. Das Racheprinzip zu durchbrechen ist nicht nur human, sondern realpolitisch geboten, will man die Eskalation verhindern, die allen schadet. »Amerika übt Vergeltung für die ungeheure kollektive Verletzung, die ihm am 11. September 2001 widerfahren ist. Solange sie ungesühnt ist, verwischt sich die Unterscheidung zwischen Gut und Böse«, schrieb hingegen 2003 der Sterbende in Frankfurt. 2007 wird er das anders sehen. Vielleicht nicht der Zeitung, aber Navid Kermani gestünde der Sterbende zu, daà seine Argumente miÃverständlich, vielleicht sogar falsch waren, nicht sofort vielleicht, dazu ist der Sterbende zu bedächtig, vielmehr im Laufe des Gespräches, das sie nicht mehr miteinander führen werden. Allein, darum geht es noch nicht. Es geht um Navid Kermani selbst. Zu leugnen, daà Gut und Böse sich überlagern können, ist die Voraussetzung für das Böse. Wäre er 2003 auf den Artikel gestoÃen, hätte er den Sterbenden in Frankfurt einem gegnerischen, ja feindlichen Lager zugeordnet. Umgekehrt hätte es genauso sein können. Sie hätten sich kaum kennengelernt, wenn das Wort Feind in ihrer Reichweite gelegen hätte, und ihre Freundschaft nie entdeckt. Um 10:05 Uhr wird Navid Kermani wegen einer â wirklich wahr, Sie, groÃgeschrieben, können es später beim Deutschen Wetterdienst nachprüfen â wegen einer Unwetterwarnung aufgefordert, die Tochter um elf Uhr aus der Schule abzuholen. Darum ist es gefährlich, in der politischen Debatte Kategorien anzuwenden, wie er sie dem Sterbenden in Frankfurt noch immer vorwerfen würde. Feindesliebe bedeutet schlieÃlich nicht, einen oder gar den eigenen Mörder zu lieben, sondern selbst im Mörder den Menschen zu sehen. Die Liebe hebt die Gegnerschaft nicht auf, sie will es nur nicht zur Feindschaft kommen lassen. Nicht immer kann das gelingen â wo Frieden herrscht, muà es gelingen. Der Installateur, der um 10:18 Uhr anruft, will sich â alles immer noch wahr â erst bei der Gewerkschaft kundig machen, ob er versichert wäre, falls er auf dem Weg weggeweht würde. Das ist die Klimakatastrophe, von der sogar die Zeitungskästen sprechen, vierundzwanzig Jahre nachdem Navid Kermani sie als Mitglied der Bürgerinitiative Umweltschutz Siegerland prophezeite. Noch ist es ruhig. Um zwölf kommt der Installateur in die Wohnung, falls der Wind ihn nicht wegweht. 10:30 Uhr. DrauÃen ist es immer noch ruhig. Vielleicht ist es doch nicht wahr.
Â
Wahrscheinlich
Weitere Kostenlose Bücher