Dein Name
dann hat er, seit die Tochter schläft, E-Mails gelesen, telefoniert, Schnipsel von Filmen und ein etwa dreizehnjähriges Mädchen gesehen, das entführt worden war, der Talkmaster schweiÃnaà um Einfühlsamkeit bemüht. Das ist dein Lebensbuch, meinte der Bildhauer in München. Ich weià schon, antwortete der Freund. Morgen, morgen. Es muà jetzt nach Mitternacht sein, in dem Fall Donnerstag, der 18. Januar 2007. Er hatte sich vorgenommen, so früh wie möglich zu schlafen, die Nacht ohne die Frau zu nutzen, um sich auszuruhen für den Tag zwischen Klinik und Tochter. Es hatte zwei Minuten gedauert, bis dem Bildhauer die Knappheit seiner Antworten auffiel. Der Freund war nicht deprimiert gewesen, dafür gab es am Ausgang dieses Tages keinen Vorwand, nur sterbensmüde und erschrocken. Noch während er telefonierte, klappte er den Laptop auf. Die Frau ist heute morgen dreimal ohnmächtig geworden. 112, Martinshorn, Augustinerinnen. Wieder die Routine, andrer Leute Notfall zu sein. â Du kennst das ja, sagte der Freund, die Flure, die Schalensitze, das Neonlicht, der PVC , und der Bildhauer sagte ja, ich kenne das Warten auf Ãrzte, das Warten, daà etwas passiert, und um sechs traut man sich, ein wenig energischer nachzufragen, da hört man, daà der Arzt schon um vier gegangen ist, obschon die Frau des Freundes am Ende doch noch untersucht wurde, weil die Oberschwester der Gynäkologie, wo die Frau liegt, Mitleid hatte auch mit ihm, der sie so flehend anschaute und nachbohrte bei den Kollegen von der Orthopädie, die allerdings den Nerv nicht befreien können wegen der Schwangerschaft, so daà die Schmerzen anhalten oder zwei, drei Stunden nachdem der Orthopäde sie allen Bedenken zum Trotz örtlich betäubt hat, zurückkehren. Wie dankbar der Freund war, in Deutschland zu leben, als die Sanitäter nicht länger als fünf Minuten nach dem Notruf in der Tür des Badezimmers standen, eine Minute später ein Arzt. Nein, nein, der Notfall funktioniert in Deutschland, versicherte er dem Bildhauer. Erst als sie nicht mehr akut war, wurde die Frau in die Warteschleife verlegt. Sie ist nicht mehr akut, das ist das wichtigste. Vom Sterbenden in Frankfurt hat er nichts gehört, wie auch? Er denkt immer, die nächste Nachricht wird die letzte sein, obwohl das keineswegs gesichert ist: Daà es jetzt zu Ende geht, bedeutet nicht, daà es schnell gehen muà mit diesem verfluchten Ende. Sein Brief muà dem Sterbenden, sofern der Sterbende Briefe noch zur Kenntnis nimmt, wie ein verfrühtes Kondolenzschreiben vorgekommen sein. Die Gnädige Frau in München hat ebenfalls Rückenschmerzen, an denen sie irre wird. Nicht Spritzen helfen, nicht Massagen, nicht Kortison. Morgen wird sie sich ein Mittel geben lassen, daà an eine Droge heranreicht oder eine Droge ist, das ist ihr inzwischen egal, lieber bewuÃtlos, als das zu erleben. â Morphium? â Ja, nein, in Form eines Pflasters, elegant genug, um sie nicht zu stigmatisieren, beruhigte der Musiker. â Stigmatisieren? Der Bildhauer hat heute die Fortsetzung des Romans erhalten, den ich schreibe, und gleich angefangen zu lesen, erst chronologisch, dann kreuz und quer. Das waren die ersten zwei, drei Minuten ihres Gespräches, bis ihm auffiel, daà der Freund aus Köln nicht so erregt war wie er. Nach dem Austausch der Krankenberichte kamen sie wieder auf den Roman zu sprechen, den ich schreibe, nun in gedämpftem Ton. Wie soll er denn je aufhören? fragte der Bildhauer. â Er kann nicht aufhören, antwortete der Freund sich selbst. Der Bildhauer fing wieder mit Künstlernamen an, Pollock, die Bilder, die von Wand zu Wand gehen. Das wird jetzt auch zu den Bildern gehören, die an den Wänden des Freundes hängen: wie die Frau stehend in der Badewanne kreidebleich wurde, die Augen verdrehte und deshalb, Gott sei gepriesen, mit Ankündigung umkippte wie ein gefällter Baum. Hätte er sich nicht rasiert, dann hätte er sie nicht im Spiegel gesehen, dann hätte er sich nicht umgedreht, dann hätte er sie nicht aufgefangen, dann hätte sie sich den Schädel zertrümmern oder in der Wanne ertrinken können. Die Sanitäter lobten ihn, als sie das Kommando übernahmen, der Arzt fragte, ob er Mediziner sei. Im nassen Badezimmer lag die Frau trocken und weich auf Handtüchern, die Beine erhöht, zugedeckt mit ihrem Plumeau. Er kriegt
Weitere Kostenlose Bücher