Dein Name
tiefsten und rief schon rein technisch das gröÃte Staunen hervor: ein Wunder, im egalitär-athletischen System von heute zu spielen wie Zehner seit vierzig Jahren nicht mehr. AuÃerdem, warum den Aspekt leugnen?, ist er Araber, Muslim, Einwanderersohn. Jeder andere, in der 116. Minute noch denkbare Ausgang hätte an seinem Triumph nichts geändert, schon gar nicht eine Niederlage im ElfmeterschieÃen, nicht einmal ein verschossener Elfer, der das Spiel entschieden hätte â der finale Fehlschuà hätte die Heldensaga nur tragisch aufgeladen. Es wäre wieder seine Weltmeisterschaft geworden. Und dann, ausgerechnet: ein Selbstmordattentat. Wütend und ungebärdet entsprach er genau dem Vorurteil, das er so lässig ausgedribbelt hatte. Auf die Mohammed-Karikaturen haben sie schlieÃlich genauso humorlos reagiert. Daà die Italiener wie in ihren düstersten Jahren dumpf ihr Tor verriegelt hatten, war schon bei der Siegerehrung vergessen. Auf den WeiÃen, der ihn, Araber, Muslim, Einwanderersohn, vermutlich mit einer rassistischen Bemerkung provozierte, zeigt niemand. Der Verlierer nicht nur des Endspiels, sondern der Weltmeisterschaft ist Frankreichs Nummer zehn, die wie ein kleiner Junge um sich schlug, nur weil eines von den gröÃeren Kindern die Zunge ausgestreckt hatte. Schon als die Kamera in der Spielunterbrechung sein Gesicht zeigte, noch bevor der Schiedsrichter und das Fernsehen etwas begriffen, war das Schlimmste zu befürchten, das ebenso Naheliegende wie Undenkbare: eine Tätlichkeit. Aber so gemein kann das Leben gar nicht sein, redete der Zuschauer sich ein, der selbst auf eine Vergangenheit als Nummer zehn von mehreren Jugendmannschaften eines Stadtteilvereins in Siegen zurückblickt, Siegen im Siegerland. Doch dann zeigte der Fernseher, wie der Kopf von Frankreichs Nummer zehn in die Brust des italienischen Verteidigers fährt. Logisch wäre gewesen, den Arm zu verwenden, die Faust, den FuÃ, oder wenn schon den Kopf, dann für eine NuÃ. Mit dem Kopf gegen eine Brust zu schlagen, ist schon dem Vorgang nach das Verhalten von jemand, der sich nicht ebenbürtig fühlt, im Wortsinn ein Akt blinder Gewalt. Teil des Dramas war, daà der Schiedsrichter den Amok des Helden erst viel später als die sagen wir einmal zwei Milliarden Zuschauer bemerkte. Hätte er tatsächlich weiterspielen lassen, wie er es ein, zwei atemraubende Minuten beabsichtigte â alle Welt spräche heute von Tatsachenentscheidung und schmunzelte über die Stirn Gottes. Dem Gesicht der Nummer zehn war die Erkenntnis, was passiert war und passieren würde, schon abzulesen, bevor die Bildregie den Kopfstoà in der Gnadenlosigkeit eines Orwellschen Ãberwachungsregimes ermittelt hatte. Allein wegen der letzten Minute seiner Laufbahn wird er fortan mit einem Mal durch die Welt auÃerhalb des Spielfeldes schreiten. Den zweiten von drei Brüdern, dessen Fachgebiet die Innere Medizin ist, bekümmern die Kinder. Sie lieben die präsidiale Art, FuÃball zu spielen, die Kunststücke, den scheuen und also menschlichen Blick, der Verletzbarkeit anzeigt, seinen Einsatz für Bedürftige. Im Ferienhaus riefen sie während des Spiels alle, auch die älteren Nichten, die sich nicht für FuÃball interessieren, im Chor Allez les Bleus! und, weil die Franzosen weiÃe Trikots trugen, Allez les Blancs! Die Kleineren standen noch beim Frühstück unter Schock, redeten wenig, starrten in die Luft. Auch der Internist, der am Montag, dem 10. Juli 2006, um 14:48 Uhr den Namen von Frankreichs Nummer zehn auf dem Laptop entdeckt, hat schlecht geschlafen. Nicht einmal der übliche Verweis tröstet, daà es doch nur ein Spiel und vor Gott gleichgültig sei, ob sich die WeiÃen freuen oder die Blauen. Vielleicht nicht für die Zuschauer, aber für die Nummer zehn ist der Vorfall schicksalhaft. Das Spiel entschieden hat der Kopfstoà ohnedies nicht; auch mit Platzverweis wäre die Entscheidung im ElfmeterschieÃen gefallen. Woran schreibst du? fragt der Internist. Nur eine Notiz, druckst der Zuschauer herum und läÃt den Roman, den ich schreibe, eilig vom Bildschirm verschwinden.
Bevor er am 11. Juli 2006 fortfährt, will der Romanschreiber die Uhr auf dem Laptop stellen, die auf der sogenannten Taskleiste ganz rechts 10:37 anzeigt, drückt jedoch eine falsche Tastenkombination, so daà die Taskleiste sich verdreifacht. Er
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