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Hermeneutik-Projekt am Wissenschaftskolleg nahm hier seinen Anfang, ebenso das BewuÃtsein, wie nah sich die drei Religionen, die sich auf die Propheten Israels berufen, aus der Perspektive eines Sinologen, Indologen oder Buddhologen stehen, nämlich so nah wie verschiedene Kirchen innerhalb einer einzigen Glaubenstradition. Allein schon innerhalb des Buddhismus sind die Unterschiede weit gröÃer. Noch im Schrecken Gottes sind die Impulse deutlich zu spüren, die ich an dem Wochenende bei Niewöhner empfing.
Niewöhner war einer der wenigen oder vielleicht sogar der einzige Gelehrte seiner Generation in Deutschland, der auf den Nahen Osten als einem gemeinsamen Raum verschiedener, ineinander verschränkter Traditionsstränge blickte, wie ich es im Schrecken Gottes neu einfordere. Anders als ich verfügte er allerdings zudem über die Kenntnisse des Hebräischen und der nichtislamischen Literaturen des Orients. Im Prinzip tat Niewöhner, was für die deutsch-jüdischen Orientalisten im Zuge der Wissenschaft des Judentums selbstverständlich gewesen war und ich mir für die heutige Islamwissenschaft, Judaistik, Wissenschaft des christlichen Orients und überhaupt für die Kulturwissenschaft wünschte: Er studierte die Kulturen des Orients in ihrem Zusammenhang und im Zusammenhang mit den Kulturen Europas.
Abends im Restaurant saà ich neben Niewöhner. Spätestens jetzt muÃte ich ihn auf meinen Konferenzbericht ansprechen, den er mit der Rezension und der Einladung so souverän beantwortet hatte. Ja, er habe sich schon sehr geärgert, redete Niewöhner nicht herum, aber dann habe er eben mein Buch gelesen und Erkundigungen über mich eingeholt â ach, es wäre doch albern gewesen, auf dem alten Ãrger zu beharren, das sei passiert und vorbei. Mehr sagte er nicht. Ich entschuldigte mich für den Tonfall meines Artikels, ohne zu heucheln, daà ich seinen Vortrag in Berlin im nachhinein positiver beurteilen würde. Er fragte auch nicht danach. Es war gut. Mochte ihn der Artikel noch immer wurmen (das merkte ich), er gab dem kein Gewicht und freute sich auf unsere Bekanntschaft. Mir selbst war es eine Lektion, wie scharf das geschriebene Wort wirkt und wie achtsam ich mit der Waffe umgehen muÃ, die es sein kann, weitaus achtsamer als auf der ersten Dienstreise meines Lebens.
Den Rest des Abends erzählte er mir von seiner Vergangenheit. Ich erfuhr, daà er vor der Revolution in Schiraz gelebt und noch viele Bilder vor Augen hatte, die ihn bewegten. Wenn ich mich nicht täusche, hatte er auch Geige oder Cello gespielt und war in Schiraz mit einem Orchester aufgetreten, oder er hatte den Auftritt eines Orchesters organisiert, ich weià es nicht mehr; etwas war da, von dem er wehmütig, bezaubert und dabei selbstironisch sprach. Nach und nach verstand ich seinen Ohrring, den ich in Berlin noch nicht bemerkt hatte. Niewöhner muÃte ein Freak gewesen sein, ein Hippie, Weltenbummler oder sonstwie auÃerhalb der Reihe getanzt haben. Er tat es noch immer, nur daà er seit Jahren in der Gestalt des Professors auftrat und die Grenzen, die er durcheinanderwirbelte, nun innerhalb der akademischen Disziplin lagen. Unter den Ordinarien mag der Ohrring ein Zeichen gewesen sein, daà er nicht ganz dazugehörte.
Wir blieben in Kontakt, auch wegen des jüdisch-islamischen Hermeneutik-Projekts. An meinem ersten eigenen Symposion am Wissenschaftskolleg, dessen offene Form ich aus Wolfenbüttel übernahm, beteiligte er sich so engagiert und hilfreich, als sei ich sein Schüler. Den Schrecken Gottes hätte er bestimmt rezensiert; kaum jemand in Deutschland hätte ihn fundierter beurteilen können. Vermutlich hat die FAZ das Buch gar nicht aus Bosheit ignoriert, wie ich aus Prinzip argwöhnte, sondern weil sie Niewöhner bereits das Buch geschickt hatte. Dann hat er es vielleicht noch gelesen.
Etwa ein Jahr nach seinem Tod war ich zu einem Vortrag über den Schrecken Gottes in Lessings Bibliothek eingeladen. Zu Beginn erinnerte ich an meine Bekanntschaft mit Friedrich Niewöhner und dessen GröÃe. Die Witwe saà im Publikum und schien sich zu freuen, daà ich ihrem Mann die Referenz erwies. Nach dem Vortrag sprang ein Mann auf und wandte sich einigermaÃen erregt gegen meine Diskussion islamischer Motive in der Göttlichen Komödie und überhaupt gegen meine Darstellung des nahöstlichen Anteils an der
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