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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Konferenz, über die ich berichten sollte, nahmen die bekanntesten muslimischen Intellektuellen teil, außerdem Größen der deutschen Islamwissenschaft, die mich beinah als ihresgleichen behandelten, so daß ich den Übermut in Maßkrügen schickerte.
    Neben den unvermeidlichen Floskeln über Islam und Moderne bot die Konferenz eine Reihe von Momenten und Gedanken, die ich in meinem Artikel rühmend herausstellen konnte. Allein, da war dieser Professor der Philosophie, schon dem Habitus nach deutscher Ordinarius durch und durch, dessen Namen ich nicht kannte. Sein Vortrag war wie gemacht zum Abwatschen: Islam sechshundert Jahre später als Christentum und daher auf dem Stand des dreizehnten oder vierzehnten Jahrhunderts, müsse jetzt schleunigst durch Reformation und Aufklärung, um dann – ich überspitze – in ungefähr einem halben Jahrtausend so zivilisiert zu sein wie wir im Westen. Auch heute würde ich daran festhalten, daß Niewöhners Ausführungen problematisch waren, so zugegeben einseitig und verkürzt ich sie im Gedächtnis behielt. Ich war auch keineswegs der einzige, der den Kopf schüttelte. Aber bei den anderen blieb es eben beim Kopfschütteln. Ich dagegen hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung und nutzte die Gelegenheit, meinen lobenden Bericht mit einer Bosheit zu würzen. In betonter Lässigkeit, ja von oben herab kanzelte ich den deutschen Professor wie einen Schüler ab, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Ich dachte nicht über mögliche Folgen nach, sondern hielt fest, was ich meinte gehört und herausgehört zu haben, allein aus fachlichen Gründen. Wer Niewöhner war, wen ich da verächtlich machte und was die Schelte an so prominentem Ort für sein Ansehen bedeutete, darüber machte ich mir keine Gedanken.
    Offenbar traf es ihn sehr. Er beschwerte sich bei der Redaktion, für die er selbst regelmäßig schrieb, und verlangte von meinem Doktorvater, der ebenfalls auf dem Podium gesessen hatte, mich zur Ordnung zu rufen. Ein bißchen bang wurde mir, und ich war plötzlich nicht einmal mehr sicher, ob ich richtig lag. Daß ich mit dem Artikel jemanden verletzen konnte, hatte ich nicht in Erwägung gezogen. Nichts hatte ich in Erwägung gezogen, als einen flotten Artikel zu schreiben, der weitere Dienstfahrten rechtfertigte. Zum Glück machte weder die FAZ noch mein Doktorvater mir einen Vorwurf, und so fühlte ich mich durch Niewöhners Empörung schließlich eher bestätigt als gewarnt. Danach hörte ich nichts mehr von ihm, las nur stets seine gelegentlichen Rezensionen, ob mit einem Anflug von Flauheit, weiß ich nicht mehr, aber gewiß aufmerksam. Ein gutes Gefühl hätte ich nicht haben dürfen, denn Niewöhners Artikel zeugten von einer genauen Kenntnis auch der islamischen Literatur. Der Schock stand freilich noch aus.
    Die erste Rezension meiner Dissertation, von Gott ist schön , stammte – von Friedrich Niewöhner. Und stand – in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung . Ich erschrak gewaltig, als ich die Seite öffnete, die fast nur aus der Rezension bestand. Als ich sie las, konnte ich meinen Augen kaum trauen: Niewöhner hatte Gott ist schön mehr als nur wohlwollend besprochen, ja, mit Staunen und Begeisterung. Noch immer gebe ich zuviel darauf, wie ich beurteilt werde; da läßt sich leicht ausrechnen, wie wichtig ich die erste und gleich so prominente Besprechung meines ersten richtigen Buchs nahm. Ich war perplex, erleichtert und dankbar. Ein solcher Großmut war nicht selbstverständlich und entsprach schon gar nicht meinem Bild des deutschen Ordinarius.
    Ich kann mich noch an die Absicht erinnern, ihm einen kurzen Brief zu schreiben, aber nicht daran, es tatsächlich getan zu haben. Nein, er war es, bin ich mir jetzt fast sicher, der sich bei mir meldete, ein gutes Jahr nach der Rezension mit einem Brief. Als einzigen »Nachwuchswissenschaftler« unter Professoren, wie er etwas gönnerhaft betonte, lud er mich zu einem interdisziplinären Gespräch über die Hermeneutik religiöser Schriften nach Wolfenbüttel ein. Seltenes Glück, war das Symposion ein wirkliches Gespräch am großen Tisch mit Niewöhner als virtuosem Moderator, hier ermunternd, dort provozierend, oft mit überraschenden Kenntnissen, immer neugierig, und nebenan die Bibliothek Lessings. Das jüdisch-islamische

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