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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Nicht weit von der Moschee, vor dem Haus des Ophthalmologen, steht das Auto der Mutter, mit dem er zum Flughafen fahren könnte. Packen muß er noch, nicht unbedingt sich rasieren. Das Geschenk besorgt er im Terminal. Er bittet die Frau, dem Imam auszurichten, daß er sich das Gebet selbst in Ehrenfeld abhole. Er sei schon unterwegs.

    Â 
    Nasrin Azarba (20. April 1937 Täbris; 5. April 2007 München) ( Bildnachweis )

Beinahe mag ich es nicht aussprechen, schon gar nicht damit anfangen: Das erste, was ich an Nasrin bewunderte, war ihre Kochkunst. Noch Student, hatte der Verlag C.H. Beck mich nach München eingeladen, um ein erstes Buchprojekt zu besprechen. Das Abendessen im Haus des Verlegers hatte Nasrin zubereitet, ein Schirin Polo . Die Übersetzung »Süßer Reis« läßt die Raffinesse nicht erahnen: Der Nuancenreichtum der persischen Saiteninstrumente, das Paradiesische eines kostbaren Teppichs, alle Verästelungen eines iranischen Gartens und die Durchdachtheit der traditionellen Architektur manifestierte sich in diesem Berg aus Reis, Mandeln, Pistazien, Berberitzen, getrockneten Beeren, Safran und wahrscheinlich einem Dutzend anderer Zutaten, den uns Nasrin auf einer riesigen runden Platte auftrug. Mit den vielleicht zehn, fünfzehn Reisgerichten, die zum iranischen Standard gehören, hatte diese Komposition nichts zu tun. Sie verhielt sich zu ihnen wie das Einzelstück eines Großmeisters zur Massenware. Nasrins Küche war das, was Iran sein könnte, die Seligsprechung des Details.
    Der Widerstand, gerade mit der Erinnerung an den Süßen Reis zu beginnen, obwohl sie die früheste ist, hat verschiedene Gründe. Zunächst entspricht sie zu genau dem hergebrachten Bild einer iranischen Frau. Auch wirkt sie banal: Was gilt schon das Kochen im Vergleich zu anderen Tugenden, Vorzügen und Künsten, die Nasrin doch ebenfalls aufwies, zu Güte, Anmut oder Intellekt? Außerdem hat sie gar nicht oft gekocht. Wenn nicht gerade Besuch erwartet wurde – ich wurde schon bald nicht mehr zum Besuch gezählt –, überließ sie ihrem Mann die Küche. Ihre Kunst war zu aufwendig für den Alltag. Ihre Kunst war von einer anderen Zeit. »In jeder Himmelskugel sehe ich eine Pupille / Und in jeder Pupille einen Himmel / O du Ahnungsloser, siehst du in Einem Vieles / Seh ich in Allem das Eine.«
    Wenn ich mir nun Rechenschaft ablege, war diese andere, wohl auch imaginierte Zeit – im Sinne einer früheren Epoche, eines tieferen Geistes, anders ausgeprägter sensorischer Schwingungen und eines metaphysischen Weltplans, der die eigene Existenz in ein kulturelles und moralisches Kontinuum legt – war diese andere Zeitrechnung ein wesentlicher Grund, weshalb es so viele Künstler und Intellektuelle, die in Deutschland Rang und Namen haben, in ihr Haus zog, auf den Platz links von Nasrin, die das Tischende einnahm, gegenüber von ihrem Mann, der in der Lage ist, innerhalb von Minuten köstliche Gerichte aus wenigen, ausgewählten Zutaten zuzubereiten. Natürlich wäre ich gern öfter von Nasrin bekocht worden, aber noch mehr schätzte ich das Privileg, von ihr nicht den Berühmtheiten zugeschlagen zu werden. Selbst ihre Empörung hatte die Erlesenheit eines Brokats: So wählte sie aus dem absurden Alltag der Islamischen Republik stets die lustigsten Witze und beklemmendsten Geschichten aus und polierte sie so sorgfältig, daß ich mich vor Lachen unterm Eßtisch krümmte oder vor Wut die Faust ballte, mit der ich den nächsten Artikel schrieb. Die Literaturgeschichte des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts kennt solche Damen, die nicht selbst Literatur verfaßt, aber mit ihrem Urteil, ihren lebensklugen Ratschlägen und ihrer Begeisterung an ihr mitgewirkt haben. Etwas von dieser Aura hatte Nasrin, als ich sie kennenlernte. Es gab eine, nein, bestimmt viele Nasrins davor und eine Nasrin danach.
    Die Nasrin davor war nach den Erzählungen ihres Mannes und dem Zeugnis ihrer Photos eine Frau von mythischer Schönheit; riesige mandelförmige Augen, die sanften Rundungen ihrer Wangenknochen, ein sinnlicher Mund. Helle Haut und schwarze Haare, dunkelbraune Iris. Aus vornehmer aserbaidschanischer Familie und traditionell erzogen, studierte sie Ende der sechziger Jahre an der Kunstakademie in München. Ausgerechnet bei einem bayrischen Klosterschüler von damals wohl schon stämmiger Gestalt und

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