Dein Name
tiefer Stimme stieà sie auf den Verehrer, der sie so poetisch wie Madschnun umwarb. Nie wagte er es, sie zu berühren, bis sie sich nachts im Winter vor ihrem Wohnheim lange gegenüberstanden. Es fing zu schneien an, groÃe Flocken, die den Bürgersteig in Sekunden weià bedeckten. Verzaubert schauten sich die beiden um. Als sich ihre Blicke wieder trafen, setzte sich eine Flocke auf Nasrins Wimper. Lief bereits eine Träne ihre Wange herab, oder war nur das Kristall geschmolzen? Wie Leyla weinte sie nach dem KuÃ, daà er alles zerstört habe.
Der Weg, auf dem er bis ans Ende der Welt ihr zu folgen bereit war, um das Anfängliche des Zaubers zu beweisen â und er bewies es! â, trug auch Nasrin weit jenseits eines Lebens, das man im aserbaidschanischen Teil Irans für ein vornehmes Mädchen vorgesehen hatte. Nach den Andeutungen ihres Mannes und dem Zeugnis weiterer Photos stellten sie an der Wende zu den siebziger Jahren alles oder vieles von dem an, was junge ungestüme Leute in Westeuropa damals anstellten. Die kuriosen Blümchenhemden und die wallenden Hosen im Indienlook dürften das Harmloseste gewesen sein. Später lebten sie in Istanbul, dann in Teheran, wo Nasrin das Keramikmuseum Ãbgineh begründete. Ich stelle mir vor, wie sie, eine noch junge, elegante Frau von Welt, die mit der Volksdichtung ebenso vertraut war wie mit der modernen Kunst, durch das Land fuhr, um den Museumsbestand zu vervollständigen, wie sie souverän mit Dorfältesten und Stammesfürsten verhandelte, mit Galeristen aus New York und Kritikern aus London. Das Ãbgineh ist noch heute das einzige Museum in Teheran, dessen Ausstellungssäle, Schaukästen, Lichtinstallationen und Beschriftungen dem Standard einer westeuropäischen Hauptstadt entsprechen. Vor dem plündernden Mob, den die Anarchie 1979 auf die StraÃe brachte, bewahrte sie es, indem sie geistesgegenwärtig alle Schilder des Altbaus austauschte und Luftballons sowie Papierschlangen anbringen lieÃ: In einem Kindergarten ist nicht viel zu holen, dachten die Plünderer, die nicht aus der Gegend waren, und zogen weiter.
Mit der Revolution von 1979 kehrte die Familie nach München zurück. Ãber die fast zwanzig Jahre, die vergingen, bis sie mir zu Ehren den Shirin Polo auftrug, weià ich wenig. Sie scheinen recht unvorbereitet aus einer Existenz herausgerissen worden zu sein, die materiell und ideell beneidenswert anmutet. Schneller als ihr Mann faÃte Nasrin neuen Mut. Anders als er, der als Künstler nicht freiwillig aufhören kann, kehrte sie allerdings nicht ins Berufsleben zurück. Wenn sie in irgendeiner Weise dem Bild ihrer Tradition entsprach, dann keineswegs als Köchin, da in traditionellen Küchen stets Bedienstete standen für die aufwendigen, Stunden und Tage benötigenden Zubereitungen, sondern als Mutter. Noch gesund, rief sie mehrmals täglich die Tochter an, um sicherzugehen, daà ihr nichts fehle. Noch von der Palliativstation mahnte sie ihren vierzigjährigen Sohn, sich warm genug anzuziehen. Wenn sie erfahren oder auch nur geahnt hätte, wie es wirklich um ihn steht, wäre sie ungeachtet ihrer Krankheit schon vor Kummer gestorben.
Die ersten, denen ich mein Totenbuch schickte, schon nach achtzig, neunzig Seiten, waren Nasrin und ihr Mann. Ich weiÃ, daà er es ihr wie andere Manuskripte von mir wieder am Tisch vorlas, die Vokale bayrisch verdunkelt und so langsam, daà es wie zelebriert wirkte, obwohl es nur sein normales Sprechtempo war. Ich weià auch, was sie davon hielten. Eine Woche, höchstens zehn Tage später erfuhr Nasrin von dem Tumor. Nicht weià ich, ahne allenfalls, was der Zusammenhang, der sich aus der zeitlichen Abfolge zufällig oder notwendig ergibt, für ihren Mann, für ihre Kinder, für mich selbst bedeutet, bedeuten wird. Nie mehr habe ich sie nach meinem Totenbuch zu fragen gewagt. Nie mehr sprach sie davon, die sich bewuÃt gewesen sein wird, bald selbst bedacht zu werden.
Sie wollte leben. Nicht daà der Tod an sich das Schreckensvolle gewesen wäre â dazu hatte sie einen zu spirituellen Bezug zum Sein, der in der persischen Kultur gründete â, allein, sie war noch nicht soweit. Die Karriere der Tochter stand erst am Anfang, der Sohn lebte als freischaffender Künstler. Und was erst sollte aus ihrem Mann werden? Ihre Existenzen waren doch ineinander verwoben, wie ich es von keinem
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