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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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wir ewig seien. 0) Es ist heute etwas passiert, sagte die Sterbende, während er am Montag, dem 26. März 2007, den vorletzten Absatz schrieb: Ich kann es dir selbst sagen. Ich habe Frieden gefunden ( solh peydâ kardam ). Ich weiß, daß ich jetzt an einen Ort gehe, den ich nicht kenne. Die ganze Zeit habe ich gekämpft. Ich habe zwar so getan, als hätte ich mich mit dem Tod abgefunden, aber das stimmte überhaupt nicht. Ich habe nur angegeben ( poz dâdam ). Aber jetzt habe ich Frieden ( solh dâram ). Jetzt habe ich es akzeptiert ( qabul kardam ). Ich bin eins geworden. (Womit? Nicht nur mit sich, sie ist gläubig. Mit dem Tod wohl, oder? Dem Geschick? Mit Gott und also allem, dem All? Mit sich und also Gott? Sie sagte nur: Ich bin eins geworden [ yeki schodam ].) Navid, das ist so gut. Ich bin so glücklich. – Ich auch, sagte Navid Kermani. Nach der Ungeborenen erkundigte sie sich noch, dann war ihre Kraft für heute verbraucht. Die dreidimensionalen Farbphotos vom Ultraschall sind unterwegs nach München. Der Name, ihr Name, steht darunter in Computerschrift. Der Bildhauer wird entscheiden, ob er das Bildnis der Sterbenden zeigt.
    Â»Ich wuerde es«, rät der Freund aus Haifa, »auf jeden Fall probieren (und das sage ich jetzt im luftleeren Raum ohne zu wissen, mit wem du da arbeiten musst, wieviel Autonomie du haben wirst etc.). Aber es ist kein schlechter Laden und wenn das Geld gut ist, dann auf keinen Fall nein sagen. Hinschmeissen kannst du immer noch nach einem Jahr oder so. Auf jeden Fall willst du dir nicht vorwerfen wollen ›ich haette, koennte etc.‹. Oder? Was spricht dagegen?«
    Weil die Batterie des Laptops offenbar defekt ist, schreibt er mit einem Billigkuli auf einem Kundenbefragungsformular der Lufthansa, das die Stewardeß verteilt hat. Morgen im Bergischen Land, wenn er sich entschieden haben wird, ob er die nächsten Jahre mit oder ohne Vorzimmer verbringt, trägt er die Notiz in der Datei nach, wie er es immer tut, wenn er sozusagen nur einen Bleistiftstummel hat. Mehr oder weniger deutlich raten alle, die Stelle anzunehmen. Der Verleger betont, an ihn zu glauben, und bedauert im nächsten Satz, daß auch der letzte Roman sich aus Gründen, die er für unerklärlich hält, nicht durchzusetzen scheint. Keine einzige Beilage hat ihn rezensiert. Nicht einmal die Taschenbuchrechte will jemand haben. In keiner Großbuchhandlung liegt der »Spitzentitel« aus. Der Romanschreiber muß den Tisch hochklappen, der Anflug auf München hat begonnen. Er hat sich schon entschieden. Ein Beruf paßt nicht in den Roman, den ich schreibe.
    Jetzt warten alle nur noch. Jeder der schweren Atemzüge könnte der letzte sein oder den letzten ankündigen. Man mag kaum aus dem Zimmer gehen. Sie selbst ist ruhig, manchmal mit Anflügen von Erfüllung, weil sie den Wert erkennt von allem, was Gott ihr geschenkt, manchmal verzweifelt wie ein Kind, das schlafen gehen muß, wenn es gerade am schönsten. Dann heult sie, wie kein Erwachsener sich trauen würde zu heulen. Es geht dir ins Mark, vormittags dem Bildhauer, nachmittags dem Musiker, abends der Sängerin, nachts dem Bildhauer, wenn sie nicht zu dritt ums Bett sitzen. Die Blutwerte des Musikers sind noch schlechter als die der Sterbenden, ein Wunder an Willenskraft, daß er sich überhaupt auf den Beinen hält. Vorgestern ist er von der neunstündigen Chemotherapie direkt zur Palliativstation gefahren. Die meiste Zeit dösten Mutter und Sohn, da blickte der Freund von dem einen zum anderen Gesicht und zurück. Im Flur zog der Musiker den Hut und zeigte die nackten Stellen zwischen den Haaren. Die Andeutungen, seinen Vater oder seine Schwester vielleicht doch einzuweihen, weil es ohnehin nicht mehr lange zu verheimlichen sei, wies er schroff zurück. Erst wenn die Augenbrauen ausfallen und niemals, solange seine Mutter lebt. Das Gute: Die Sterbende kämpft nicht mehr. Das Schlechte: Sie hat den Kampf verloren. Das Raubtier hat von ihr gelassen. Es hat sich satt gegessen. Die Würde scheint ihm nicht geschmeckt zu haben. Die Würde hat es wieder ausgespuckt. Es kann auch anders, wie der Freund von seiner Tante Lobat Madani weiß. Manchen Menschen nimmt er auch den Rest dessen, was sie zuvor als Menschen kennzeichnete. Daß an seinen Geschöpfen etwas unantastbar sei, muß Gott überlesen haben, obwohl es in Seiner eigenen Verfassung steht.

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