Dein Name
Mosebach, als der Romanschreiber ihn fragte, ob das Schreiben eines Romans eine religiöse Haltung zur Welt voraussetze (der Romanschreiber meinte nicht den Glauben an eine bestimmte Religion, sondern die Behauptung einer Ordnung oder Verbundenheit der Ereignisse und Menschen), nein, ohne den Glauben an eine irgendwie geartete Ordnung der Welt sei erzählende Literatur nicht möglich, antwortete Martin Mosebach, wenigstens nicht seine Literatur und gewià nicht die ihres Idols Heimito von Doderer. Vielleicht kann man so weit gehen, daà die Behauptung einer Struktur in der Wirklichkeit â in Form der Literatur, der Kunst, genauso wie in religiösen Vergegenwärtigungsritualen â ebendiese Strukturiertheit erst schafft, so wie das Verhältnis zwischen dem Tierarzt aus Basel und dem Romanschreiber aus Köln erst dadurch geschaffen worden ist, daà letzterer nach Claudia Fenners Tod nicht fortgefahren ist mit dem Leben, wie andere notgedrungen fortfahren. Er liest die Nachrichten, die Sabine auf dem Handy hinterlieÃ, das er sich für einen Tag vom Iraner gegenüber ausgeliehen hat, der für fünfunddreiÃig Euro das Handy repariert, das gestern ins Spülbecken fiel, obwohl Männer, wie sie beide lachen, natürlich niemals spülen sollen, man sehe ja, was dabei herauskommt. Ja, man sieht etwa die Nachricht von Hanna-Zoe, die am 30. Oktober 2005 zur Welt kam, oder daà Sabine von ihrem damaligen Verlobten Adrian »Käfer« genannt wurde oder wird, »Käfer« oder auch »Käferle« oder »Käfermädchen«: »Käferle! Dein welzi hat dich hat ganz arg lieb! Hoffe du schaffst alles. Knuddel dich!« Vielleicht haben Sabine und Adrian inzwischen ein eigenes Kind. Vielleicht ist ihre Ehe gescheitert. Und was ist mit Sabine und Lars-Uwe, ist ihre Ehe glücklich? Vielleicht wird der Nachbar davon erfahren, wenn jemand in Jahren die Flaschenpost findet, die er ins Wasser wirft, indem er entgegen seiner Poetik ihre Namen nennt. Er wird Ausschau halten, sollte er je aus dem Roman lesen, den ich schreibe, Ausschau nach Käfer, Welzi, Lars-Uwe, Claudia und vor allem der kleinen Hanna-Zoe, die eine erwachsene Frau geworden sein wird. Er würde ihnen so gern Bedeutung geben, weil damit sein Tag welche hätte, der 30. Mai 2007.
An GroÃvaters Unterricht nahm auch ein Erwachsener teil, Abolqasem Bachtiar, der eine Gruppe von Kindern aus vornehmen Familien der Bachtiari-Nomaden begleitete. Er war ein freundlicher, etwas naiver Hüne, dreiÃig, fünfunddreiÃig Jahre alt, glatzköpfig, hochgewachsen, voll Eifer und Wissensdrang. So lange setzte er Doktor Jordan zu, bis der ihm halb achselzuckend, halb gerührt erlaubte, sich in GroÃvaters Klasse zu setzen. Das Schulgeld übernahm sein Stamm. Das miserable Gedächtnis wog Herr Bachtiar mit Fleià aus, so daà er im Unterricht halbwegs mithielt â und das, obwohl er kaum die Unterrichtssprache verstand. Nur im Fach Englisch wurde er eine Klasse nach der anderen zurückversetzt und brachte selbst unter den Anfängern nichts zustande. Er konnte sich einfach keine Vokabeln merken. Der Lehrer muÃte ihn nur nach einer Ãbersetzung fragen, da fingen die Mitschüler schon zu lachen an. RegelmäÃig machten sie sich lustig über Herrn Bachtiar. Während des Silentiums zum Beispiel warfen oder steckten sie ihm Briefe zu, in denen es »Glatzkopf, was hast du in der Schule verloren?« hieà oder: »Zieh besser dein Schwert, wenn du mit der Vokabel kämpfst.« Die erste Zeit ignorierte Herr Bachtiar die Sticheleien, aber als er sah, daà sie kein Ende nahmen, bat er Mister Burt, nachmittags schlafen zu dürfen und statt dessen nachts zu lernen. Wenn GroÃvater wach lag, sah er durch die offene Tür Herrn Bachtiar im Aufenthaltsraum sitzen. Dann schämte er sich für die Streiche seiner Mitschüler, an denen er sich zwar selten beteiligte, über die er sich dennoch amüsierte. In der ⦠Von wo ruft die noch mal an? überlegt der Enkel am Montag, dem 4. Juni 2007, um 11:18 Uhr, während die Anruferin über die Bedeutung des Kulturaustausches räsoniert, so daà er auf die Einladung zu einer Podiumsdiskussion tippt, Staatsminister?, Staatsminister? â da liegt doch seine Bewerbung für Rom, an deren Erfolg er so wenig geglaubt hat, daà ich sie lieber nicht erwähnte, um keine weitere Blamage in den Roman zu
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