Dein Name
Nasrin Azarba auf Erden. Der Freund wird es bezeugen.
Nach der Koranmeditation auf dem Kirchentag wird der Freund in Köln die Vertreterin der Evangelischen Kirche Deutschlands mit ins Büro nehmen, um für das Kreuz des Bildhauers aus München zu werben, das einen halben Meter hoch auf der Schreibtischplatte des Schreiners steht, dem Gott ein langes Leben schenken möge. Prinzipiell ist der Freund Kreuzen gegenüber negativ eingestellt, das sagte er dem Bildhauer auch, als er ihn vor dem Kirchentag darum bat, das Modell zu schicken. Nicht daà der Freund die Menschen, die zum Kreuz beten, weniger respektiert als andere betende Menschen. Es ist kein Vorwurf. Es ist eine Absage. Gerade weil er ernst nimmt, was es darstellt, lehnt er das Kreuz rundherum ab. Nebenbei findet er die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir genieÃen sollen, auf daà wir den Schöpfer erkennen, wie GroÃvater den Enkeln predigte, wenn er von der Terrasse in Tschamtaghi auf den Zayanderud herabschaute, den Lebenspendenden FluÃ. Der Freund kann im Herzen verstehen, warum Judentum und Islam die Kreuzigung ablehnen. Sie tun es ja höflich, viel zu höflich, wie ihm manchmal scheint, wenn er Christen die Trinität erklären hört und die Wiederauferstehung und daà Jesus für unsere Sünden gestorben sei. Der Koran sagt, daà ein anderer gekreuzigt worden sei. Jesus sei entkommen. Für sich formuliert der Freund die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie. Die Ãltere in der Kirche zu wissen, wo sie als Grundschülerin gelegentlich die Fürbitte liest, weil sie so schön lesen kann und so eitel ist, auf jeder Bühne stehen zu wollen, selbst wenn sie dafür eine Stunde früher aufstehen muÃ, die Ãltere unterm Kreuz zu wissen ist unangenehm. Natürlich sagt er nichts, schlieÃlich ist man liberal. Eingegriffen hat er nur, als den Kindern Hostien gereicht wurden, gleich welchen Glaubens. Da wünschte er sich, die Kirche sei weniger liberal. Wenn solche Vorgänge für ihn nur Kindereien wären, hätte sie sich auch bekreuzigen können. Für ihn aber ist das Kreuz ein Symbol, das er theologisch nicht akzeptieren kann, akzeptieren für sich, meint er, für die Erziehung seiner Kinder. Andere mögen glauben, was immer sie wollen; er weià es ja nicht besser. Er jedoch, wenn er in der Kirche betet, was er tut, gibt acht, niemals zum Kreuz hin zu beten. Und nun steht eines seit Tagen auf meiner Schreibtischplatte, rechts neben dem Computer, und ist so berückend, so voller Segen, daà ich es am liebsten selbst ankaufen und für immer behalten würde, koste es, was es wolle. Erstmals denke ich: Ich â nicht nur: man â, ich könnte an ein Kreuz glauben. Es steht nicht für einen Menschen, es ist nur noch Prinzip. Gewöhnlich schlagen Bildhauer etwas weg, nehme ich an, so daà Späne entstehen oder Splitter. Oder sie fügen, um Formen zu schaffen, etwas hinzu, Ton zum Beispiel. Bei dem Kreuz und allen letzten Skulpturen des Bildhauers ist nichts hinzugefügt oder weggenommen worden. Die gesamte Form entsteht aus der Bewegung, in die das Material versetzt worden ist. Zuerst schneidet der Bildhauer das Material in hauchdünne Scheiben, durch die er eine Achse zieht, und zwar auÃerhalb der Mitte. Dann dreht er die Scheiben, allerdings nicht gleichförmig, sondern in Form einer Doppelhelix, eine Scheibe links, eine rechts, eine Scheibe links, eine rechts und immer so weiter. Gemäà der orientalischen Muqarnas-Form, die auch dem Bau von Kuppeln zugrunde liegt, mutiert die Kante durch die Ãffnung von innen allmählich zur Rundung. Nichts wird hinzugefügt, nichts wird genommen. Es gibt keinen Abfall. Das ist nicht nur ein orientalischer, es ist auch ein fernöstlicher Gedanke: Sein japanischer Lehrer hat den Bildhauer vor Jahrzehnten gelehrt, wie sich ein Gegenstand allein durch Nutzung beziehungsweise Freisetzung seiner eigenen Energie vervielfacht. Das klingt esoterisch, wie das bronzene Kreuz gar nicht wirkt. Das Wort Energie hätte ich damit nie assoziiert. Doch spüre ich seit Tagen, wie es erst den Tisch, dann den Raum verwandelt. Es hat an jeder Stelle exakt soviel Fläche wie an jeder anderen, zwei ineinandergelegte Quader, der eine senkrecht, der andere waagerecht, die sich
Weitere Kostenlose Bücher