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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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zu Kurven aufschwingen. Plötzlich leuchtet das Kreuz ein. Umgekehrt gibt sich in der Muqarnas-Form des Bildhauers, die kein Abbild mehr ist, vielmehr eine Idee wie die frühchristlichen Kreuze, das Christentum hin zum Einen Gott. In seinem strengen Monotheismus ist es christlich und zugleich vorchristlich, in seiner Ästhetik so orientalisch wie die Bibel und zugleich von heute, Donnerstag, dem 7. Juni 2007. Der Freund in Köln muß die lange Hose anziehen, sich aufs Fahrrad setzen. In einer guten halben Stunde beginnt seine Koranmeditation auf dem Kirchentag. So Gott will wird der Freund die Evangelische Kirche Deutschlands von dem Kreuz überzeugen. An prominentem Ort soll es, muß es fünfzehn, zwanzig Meter hoch in den Himmel ragen, damit es auf die Menschen strahlt, gleich welchen Glaubens. Zur Arbeit zurückzufinden, scheint die einzige Möglichkeit für den Bildhauer zu sein, fortfahren zu können. Der Musiker geht nicht mehr ans Telefon.
    Jeden Morgen versammelten sich die Schüler im sogenannten Big Room . Der Name der Aula steht im Manuskript handgeschrieben auf englisch. Ob es wirklich Großvaters Handschrift ist? Doktor Jordan trat auf die Bühne und las mit getragener Stimme eine Stelle aus der Bibel vor, zu der die Schüler andächtig den Kopf zu senken hatten. Dann forderte Doktor Jordan sie auf, sich zu erheben. »Joyful, Joyful, We Adore Thee«, »Thine is the glory« oder »Jesus, I my Cross have taken« hießen die Lieder, deren Titel Großvater siebzig Jahre später beinah fehlerlos transkribiert. Doktor Jordan dirigierte mit Verve, seine Frau spielte vorzüglich Klavier. Abgesehen vom Gottesdienst vor Unterrichtsbeginn herrschte vollkommene religiöse Freiheit, hebt Großvater hervor, obwohl es der erklärte Zweck der Schule gewesen sei, die Ungläubigen zu missionieren. Die Priester waren zu allen Kinder gut, gleich welchen Glaubens. Dringend in Erfahrung bringen müßte ich, ob die Islamische Revolution sich schon anbahnte, sie gerade gesiegt oder sich bereits in Terror verwandelt hatte, als Großvater sein Leben beschrieb. Es ist ein Unterschied, ob er 1975 oder 1981 an die Toleranz der amerikanischen Priester in Teheran erinnerte. 1981 wäre es Widerstand gewesen zu betonen, daß besonders die Bahai-Kinder von der religiösen Freiheit profitierten – und das, obwohl sie den Missionsauftrag wörtlicher nahmen als die Schulleitung selbst. Einige unter den Bahais erklärten freiheraus, daß es ihnen wichtiger war, ihre Mitschüler zu bekehren, als dem Unterricht zu folgen. Zwangsläufig ergaben sich in den freien Stunden hitzige Debatten im Aufenthaltsraum. Für Großvater und wahrscheinlich für alle oder die meisten muslimischen Schüler war es neu, ihren Glauben verteidigen und damit erklären zu müssen. Die Christen hatten den Religionsunterricht und ihre Lehrer, die Bahais waren als Angehörige einer neuen, häufig verfolgten Religion dogmatisch gut geschult, die Muslime hingegen mußten sich erst einmal daran gewöhnen, daß ihre Überzeugungen in Frage gestellt wurden. Auf den interreligiösen Dialog, an dem außerdem noch christlich-orthodoxe und jüdische Schüler teilnahmen, hatte Mullah Mirza Mohammad Großvater bestimmt nicht vorbereitet. Genau hier, vielleicht erwähnte ich es bereits, in diesen Jahren, an Orten wie der Amerikanischen Schule in Teheran, bricht sich in Iran die Moderne Bahn, später als im kolonisierten Indien oder den Ländern des Osmanischen Reichs. Im kadscharischen neunzehnten Jahrhundert liegen die wesentlichen Ursachen, daß das iranische Reich, das noch unter den Safawiden, also bis ins achtzehnte Jahrhundert, als politische Großmacht galt und sich einer regen Naturwissenschaft, einer phantastischen Architektur oder einer kühnen Philosophie rühmte, nicht nur den Anschluß an die Entwicklung in Europa verlor, sondern politisch und technologisch längst auch von den Türken und Indern überholt worden ist, den Rivalen der Safawiden im Westen und Osten. Die Zentralregierung der Kadscharen war schwach, der Handel und damit der Austausch mit der Welt im Vergleich zu früheren Jahrhunderten sogar rückläufig, die Reformen im Schul- und Finanzwesen, der Verwaltung und der Armee bestenfalls halbherzig. In den Fachbüchern, die ich mir aus der Wohnung mit ins Büro genommen habe, liest sich das so:

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