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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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schreiben, immerhin nett, daß sie einen persönlich über die Absage unterrichten. Er hat sich so fromm in seinen Mißerfolg gefügt, daß er über mehrere, nein, über bestimmt dreißig Sekunden hinweg annimmt, zum Trost angerufen worden zu sein. Die Dame zögert die Nachricht allerdings auch wirklich hinaus, so lang und gut gelaunt, daß es ihm schließlich dämmert. Als er auflegt, fügt sich der Enkel so fromm in ihre Mahnung zu feiern, daß er einen Freudensprung macht wie nach dem höchsten Sieg mit der Thekenmannschaft. Er hat nicht verzagt, nur sich darauf eingerichtet, noch viele Jahre zu schuften ohne Auflagen oder Preise, von denen er leben könnte. Das heißt nichts, sagte er sich immer wieder, weder der Erfolg hat etwas zu sagen noch daß er ausbleibt. Im Alltag nur ist es mit dem Mißerfolg mühsamer. Die Familie muß versorgt werden, und das Ich, das man als Romanschreiber melkt, braucht ebenfalls Nahrung. Er hatte ebenso »gefunden, daß es mir nicht möglich ist, bei ganz unabhängiger Beschäfftigung eine ganz unabhängige Existenz zu gewinnen«, wie Hölderlin im letzten Brief an Schiller bemerkt, und die Abhängigkeit dennoch im buchstäblich letzten Moment von sich gewiesen, ohne sagen zu können, ob er sich damit selbst treu blieb oder nur die Rolle in einer Schulaufführung spielt, die zum Beispiel Dichtermuth heißen könnte. Und kurz darauf ist er auf einen Schlag alle Sorgen bis Ende nächsten Jahres los, eine Ewigkeit für ihn, noch dazu die Ewigkeit in Rom. Der Enkel war nicht ohne Furcht. Ohne es recht zu bemerken, würde er sich vom Talent, als das er immer noch gilt, in eine gescheiterte Existenz verwandelt haben, die um Aufträge nachsucht. Im Theater lud ihn auch niemand zu einer zweiten Inszenierung ein, obwohl er dem Intendanten sogar anbot, auf Kostüme und Bühnenbild zu verzichten. Um die Selbstentwürdigung zu kaschieren, faselte er etwas von nacktem Schauspiel. Um 11:37 Uhr scheint sich der Bildhauer in München ehrlich zu freuen, der bei der Gelegenheit ankündigt, für ein paar Tage zu verreisen. Er halte es nicht mehr aus zu hören, daß er sich nun einmal abfinden muß. Wahrscheinlich weil er selbst zu den stillen, unauffälligen Schülern gehörte, dazu von kleiner und schmächtiger Statur, sind die einzigen drei Klassenkameraden, auf die Großvater eingeht, nicht die eigenen Freunde, sondern die exzentrischen Typen, die es in jeder Klasse gibt. Da ist Alichan in der Koranschule, den Mullah Mirza Mohammad nur mit Hilfe von drei Schülern auf die Bastonade binden konnte, und Mohammadchan in der Eslamiye-Schule, der für seine Aufmüpfigkeit mit Stockschlägen bestraft wurde oder vor der Tür zum Klassenzimmer die Schuhe seiner Kameraden putzen mußte. Manchmal wurde Mohammadchan in die Mitte des Schulhofes gestellt, und alle Kinder der Schule mußten rufen: »Schäm dich, fauler Mohammadchan, / Bessre dich, fauler Mohammadchan!« Herr Bachtiar war das Gegenteil von Alichan und Mohammadchan, beflissen und gutmütig, und wurde genauso verspottet, ja, auch von Großvater. Um so mehr freut er sich, daß Herr Bachtiar nicht nur das Abitur schaffte, sondern trotz seiner Schwäche in Englisch in den Vereinigten Staaten Medizin studierte. Er heiratete eine Amerikanerin, kehrte mit ihr nach Iran zurück und arbeitete als Arzt bis ins hohe Alter im Süden, wo die Bachtiars leben. Der Stamm hatte das Schulgeld also gut angelegt. Er muß ein aufregendes Leben geführt haben, vermutet Großvater und bedauert, daß Herr Bachtiar nicht selbst seine Erinnerungen aufgezeichnet zu haben scheint. Sowenig er eigentlich über ihn wisse, so habe er ihn doch erwähnen wollen, um die Seele dieses ehrenwerten und lieben Menschen zu erfreuen und die Leserschaft zum Staunen zu bringen, was ein Mensch allein durch Willensstärke, Fleiß und Leidenschaft zu erreichen vermag. Als ob er sein Glück beichten müßte, ruft der Enkel endlich wieder beim Musiker in München an, der sich gerade den meiststinkenden französischen Weichkäse gekauft hat, um nach Wochen etwas anderes als Metall zu schmecken. Da sei noch etwas gewesen, sagt der Musiker, ganz am Schluß, daß er noch nicht erwähnt habe und nur wenigen sagen könne, vielleicht nur dem Freund aus Köln, und spricht um 12:19 Uhr über die letzten zwanzig Minuten von

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