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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Geburt und enden nicht mit unserem Tod. Wüßten wir sie alle zu erzählen, wäre es die Ewigkeit. Als wolle er die Toleranz des Hausmeisters vorführen, hat sich der dicke Fleischverkäufer aus dem türkischen Supermarkt mit einem Becher Ayran in der Hand, der ihm zu Kopf gestiegen sein muß, unter den Balkon des Enkels gestellt, um zu singen. Der Fleischverkäufer singt nicht nur für sich, er singt richtig laut, mit tiefer Stimme ein trauriges türkisches Lied, das in der Abenddämmerung des 25. Juni 2007 zwischen den Bäumen aufsteigt, vom Grundrauschen der Stadt untermalt, die größer erscheint als an gewöhnlichen Tagen. Nur im Roman, den ich schreibe, ist der Hausmeister so gemein, die Polizei zu rufen, wenn jemand länger als eine halbe Stunde im Hof parkt.
    Der Musiker in München sagt nichts mehr. Weniger als zwei Minuten sprachen sie miteinander. Wahrscheinlich ist er nur deshalb ans Telefon gegangen, damit der Freund aus Köln keine weitere Nachricht hinterläßt. Immerhin teilte der Musiker mit, daß er ab Donnerstag mit Stammzellen behandelt wird. Der Freund fragte nicht nach, weil der Musiker ohnehin nicht geantwortet hätte. Auch die digitale Enzyklopädie teilt nichts über den Ablauf mit. Im Internet dauert es bei 44.000 K/Byte zehn Minuten, bis er endlich eine Definition liest: »Bei der Knochenmark- und Stammzelltransplantation werden Zellen übertragen, aus denen lebenslang alle Zellen des Blutes entstehen können.« Er entdeckt eine weitere Parallelgesellschaft, mit eigenen Internetplattformen, Chats, Links, frohen Freundschaften, einem sozialen Gebilde, Hierarchien, Kodewörtern und Verhaltensnormen, »Wir wünschen dir alle viel Glück«, »Wir sind bei dir«, »Ich bin verloren«, mit Vermessungstechnikern und Musiklehrerinnen, die zu Experten und Ratgebern wurden, eine Welt, die die eigene wird auf Zuruf eines Arztes. Aber was heißt es konkret?, wie genau werden solche Zellen übertragen?, was hat der Musiker erlebt?, der Freund muß es doch wissen. »Ich bekam die Hochdosis«, antwortet eine Frau auf jesusundkrebs.de : »Dafür mußte ich isoliert werden. Das heißt, man darf nicht aus dem Zimmer heraus; extra Klimaanlage; extra gefiltertes Wasser im Bad; jeder Arzt, Schwester, Besucher mußte Mundschutz tragen und sich die Hände desinfizieren. Wir lagen zu zweit in dem Zimmer. Auch beim Essen mußte man aufpassen. Ich bekam ein spezielles Iso-Essen. Keimfrei. Man versucht halt, so gut es geht, alles keimfrei zu halten, aber das geht natürlich nicht 100%ig. / Die Hochdosis dauerte 5 Tage. Das heißt 5 Tage Infusionen, Tabletten. Ich bekam u.a. Cortison und schwemmte total auf. Jeden Morgen wurde ich ausgemessen. Da kann die Schwester feststellen, wieviel Wasser ich habe. Dann bekam ich Infusionen, die das Wasser wieder ausschwemmten. Eine Tortur. Die Leukozyten, weiße Blutkörperchen, gingen auf 100 runter. Normal sind so zwischen 4000 bis 9000. Mein Immunsystem war sozusagen nicht mehr vorhanden. Die Übelkeit war fast unerträglich und ich konnte die Zeit teilweise nur noch sitzend im Bett mit einem Stuhl vor dem Bett, auf den ich meine Füße stellte, verbringen. Ich konnte nicht mehr viel machen, nicht lesen oder fernsehen, das war alles sehr anstrengend. Aber ich hatte mir, bevor ich ins Krankenhaus ging, mehrere Predigten (siehe unter Links) heruntergeladen und auf CD gebrannt. Diese Predigten hörte ich mir mit meinem CD -Player an. Das war sehr gut und beruhigend. Und ich fasste auch wieder neuen Mut. / Da ich schon viele Anfragen von Menschen bekam, die auch vor solch einer Stammzellentransplantation stehen, könnt Ihr mich gerne auch anschreiben, wenn Ihr Fragen habt. Ich werde sie sehr gerne beantworten. / Nach der Hochdosis, genau einen Tag später, bekam ich die Stammzellen zurück. Das ist ein spannender Moment. Erst hatte ich furchtbare Angst davor. Ich weiß auch nicht, warum. Aber es ist völlig schmerzlos. Es kratzte nur etwas im Hals, so daß ich husten mußte. Die ganze Kompanie war anwesend, Oberarzt, Stationsarzt, Oberärztin der Transplantationsmedizin, Schwestern und Lernschwestern. Aber ansonsten war es total unspektakulär. / 9 Tage später stiegen die Leukos wieder auf 500, dann 1500 und mehr. Mir ging es ganz gut. Ich hatte keinen Infekt bekommen und konnte auch schon wieder einigermaßen essen. Ich wurde nach insgesamt

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