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an, aber für den Vater, der keinen der vier Söhne je mit der Religion bedrängte und gerade deshalb mit Achtzig noch einen Freudensprung machen würde. Es war die einzige Möglichkeit, bei ihm zu sein, so empfand es der Jüngste, der gestern nachmittag mit der Frühgeborenen vor dem Bauch nichtsahnend aus dem Haus gegangen war, um zu spazieren, als der Internist auf dem Handy anrief. Weil die Operation der Herzklappe zu riskant schien und das Blut nicht gerinnt, hatte der Kardiologe im St. Marien allenfalls einen kleinen, oberflächlichen Eingriff in Erwägung gezogen, um die Drähte des Schrittmachers freizulegen, und deshalb einen Termin in einem Herzzentrum besorgt, wo der Chef dem Vater während der ersten Visite mitteilte, daà die Klappe ersetzt werden müsse, Risiko hin oder her, sonst läge die Lebenserwartung bei höchstens einem Jahr, wahrscheinlicher einem halben, gleich morgen also, da jeder Tag zählt, also heute, also jetzt, Donnerstag, 19. Juli 2007, 11:28, jetzt gerade liegt der Vater auf der gebogenen Streckbank aufgespannt wie auf einem groÃen Ball, rasiert von Hals bis FuÃ, mit aufgeschnittenem Brustkorb, umringt von Ãrzten, Schwestern, Apparaten, und Gott entscheidet sich, wenn es Ihn gibt, ob Er den Vater wieder zum Leben erweckt. Dem Sohn wird schlecht bei dem Gedanken, daà die Entscheidung gegen den Vater ausfallen könnte. Auch das Gebet hilft jetzt nicht mehr, schon ist die Wirkung verpufft. Kurz nach acht sollte die Operation beginnen, zweieinhalb Stunden sollte sie dauern, die Ãrzte könnten also längst fertig sein, sie könnten sagen, puh, das scheint gutgegangen zu sein, oder das Gegenteil. Sie haben auch gesagt, daà es länger dauern könnte, je nachdem, was sie vorfinden und was mit der Blutgerinnung ist. Sie haben die besten, modernsten Apparate und eine neue Methode, der Chef selbst operiert, für sie ist es Routine, wie der Jüngste sich immer wieder zuredet, sie machen das jeden Tag und unter widrigeren Umständen als bei dem Vater, nach Unfällen etwa, wenn die Patienten mit dem Hubschrauber eingeflogen werden und die Voruntersuchungen wegfallen. Der Vater hat so oft Glück gehabt, wirkliche Wunder erlebt (der Sohn wird es bedenken, aber so Gott will nicht bald), hat schon dreimal Aufschub erhalten vom Tod, vor zehn Jahren die erste Herzoperation, und ging auch im Leben aus so vielen Dramen heil hervor, der Heimatverlust nach dem Sturz Mossadeghs und der Beginn in Deutschland mit Frau und drei Söhnen auf achtzehn Quadratmetern, Autounfall, Konkurs, Schulden, und jedesmal die Rettung, das war die Furcht, sein bisheriges Glück, und daà der Sohn nicht die Ungerechtigkeit beklagen dürfte, wenn der Vater nach achtzig prallen Jahren ohne Siechtum stürbe, nein, darüber darf man sich nicht beschweren, und dennoch â einer geht noch, sagte der Sohn zur Frau, einer geht noch, während er gestern nachmittag zum Herzzentrum raste, um den Vater noch einmal zu sehen â jetzt schreibt er selbst schon: noch einmal, als seiâs das letzte Mal gewesen â, um den Vater also zu sehen und der Mutter beizustehen, die immer alles wegwischt â ach, deinem Vater gehtâs prima, stellt sich nur ein biÃchen an, der Arzt sagt, er habe den Körper eines Sechzigjährigen. Jetzt trifft sie die Möglichkeit, daà es heute nicht mehr weitergeht, nie mehr mit dem Vater, um so wehrloser. Das Herzzentrum wird gleich nach der Operation den Sohn anrufen, der gerade im Zimmer war, als die Krankenschwester die Nummer eines Angehörigen auf dem Laufzettel notieren wollte. Gegen 14 Uhr, sagte sie, könne er mit dem Anruf rechnen, natürlich auch etwas früher oder viel später, das sei unmöglich zu prognostizieren, sie rufen an, versprochen, ein Arzt ruft an, sobald er den Operationssaal verläÃt. Erst im nachhinein merkte der Sohn, daà er die Zeitrechnung nicht versteht, wieso 14 Uhr, wenn die Operation kurz nacht acht beginnen und zweieinhalb Stunden dauern sollte? Die Tanten meldeten sich gestern abend noch alle aus Iran und Amerika, der Sohn hat keine Ahnung, wie sie die Nummer und überhaupt die Nachricht so schnell erreicht hat, blitzartig ging es um die Welt, was auch etwas Schönes ist, zu wissen, daà so viele Menschen an den Vater denken â jetzt. Um 11:57 Uhr ⦠klingelte das Handy, aber es war nur ein Festival, das ihn zur Lesung einlädt. Schon an
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