Dein Name
Nicht nur weil er auf den ersten Blick der einzige Ausländer zu sein scheint (den Greis hielte man ohne die Bildunterschrift für einen Orientalen), sticht Mister Allanson ins Auge. Man kennt solche Klassen- und Schulphotographien des späten neunzehnten, frühen zwanzigsten Jahrhunderts, auf ihnen gleichen sich die Völker, vorne knien die Kleinsten, auf Stühlen sitzen die Lehrer mit dem Rektor in der Mitte, dahinter stehen die älteren Schüler, die letzte Reihe auf Stühlen oder einem Podest, man kennt sie aus vielen Ländern, die Gesichtszüge, Hautfarben, Anzüge, Gewänder, Kopfbedeckungen und Uniformen sind verschieden, hingegen die ernsten Blicke und Habtachtstellungen sich gleichen, auch der Lehrer und Schüler der Bischofsschule in Isfahan-Jolfa, Jahrgang etwa 1902. Aber daà jemand seine Hand auf die Hand seines Nachbarn legt, sah ich auf einem solchen Photo noch nie. Bestimmt wäre es mir auch am Mittwoch, dem 25. Juli 2007, entgangen, hätte mich der Name Mister Allanson nicht aufmerksam gemacht. Dann hätte ich übers Photo hinweggesehen wie über andere Klassen- und Schulphotographien des späten neunzehnten, frühen zwanzigsten Jahrhunderts, vorne knien die Kleinsten, in der Mitte die Lehrer auf Stühlen, dahinter stehen die älteren Schüler. Ein Mensch auf einem Bild, Bischofsschule in Isfahan-Jolfa, Jahrgang etwa 1902, hat jetzt eine Geschichte für mich.
Der Vater war wach. Das jedoch war schon beinah alles, was von dem Mann übriggeblieben war, von dem sich die Angehörigen letzte Woche verabschiedet hatten, als die Krankenschwester sie aus dem Zimmer schickte, um die letzten Vorkehrungen zu treffen, der Einlauf, dann die Beruhigungs- oder Schlaftabletten. Am Freitag, dem 27. Juli 2007, erreicht den Sohn um 11:22 Uhr die Kurzmitteilung, daà ein Bekannter, der im Roman, den ich schreibe, indirekt bereits auftauchte, als er kurzfristig die Reporterin des Nachrichtenmagazins in der Sendung über die Totenköpfe ersetzte, mit denen deutsche Soldaten in Afghanistan FuÃball gespielt hatten, wahrscheinlich in Afghanistan entführt worden ist. Wenn die Nachricht stimmt, werden der Verlag des Entführten und das Auswärtige Amt alles tun, was man tun kann. Eine öffentliche Solidarisierung dürfte nicht in seinem Sinne sein, wäre auch lachhaft: Wir appellieren an die Taliban. Während die Frau herauszufinden versucht, ob die Nachricht stimmt, fährt der Sohn einstweilen fort, vom Anblick zu berichten, der so entsetzlich war, daà er den optimistischen Tagesbefund der Kardiologen ad absurdum zu führen scheint, den der Sohn wie ein Mantra aufsagt: Der Vater ist bei vollem BewuÃtsein, hat offenbar keine Lähmungen, die Lungenentzündung scheint rückläufig, mit neuen Blutungen ist nicht zu rechnen. Sein Körper vermag soviel wie der Körper der Frühgeborenen am ersten Tag: mit Mühe und Sauerstoffzufuhr atmen, die Arme ein wenig, die Finger deutlich bewegen, die Augen öffnen und schlieÃen. Die Apparate sind noch zahlreicher als im Perinatalzentrum, ebenso die Schläuche. Dafür liegt der Vater in keinem Kasten aus Plexiglas, sondern nicht weniger geheimnisvoll unter einer silbernen Decke. Anders als die Frühgeborene kann er zumindest andeuten, in welche Richtung er die Stellung verändert haben will. Er kann nicken oder den Kopf schütteln, wenn die Söhne ihn fragen. Was ihn von der Frühgeborenen unterscheidet, neben welcher der Jüngste am Morgen länger als an anderen Tagen liegenblieb, ist das BewuÃtsein und das Leiden. Ich hätte fast geschrieben: das BewuÃtsein und damit das Leiden, aber das stimmt nicht, die Frühgeborene hätte auch mit BewuÃtsein nicht gelitten, nicht das geringste Anzeichen gab es dafür, auÃer wenn sie Hunger hatte, im Schlaf aufschreckte oder die Krankenschwester sie bei der Blutnahme in den Zeh stach. Ansonsten ruhte sie, so schien es dem Jüngsten, in vollständigem Frieden. Der Vater ist am anderen Ende der Schöpfung, in seinen Augen metaphysisches Entsetzen. Das ist nicht das übliche Unwohlsein nach einer Narkose. In den drei Stunden, die der Jüngste gestern auf der Intensivstation verbrachte, erwachte der neue Zimmernachbar des Vaters ebenfalls aus der Narkose, ein noch älterer Herr, ebenfalls am offenen Herzen operiert, dessen Blut die Schwester ebenfalls aus dem Schlauch wrang. So jemandem gelingt
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