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nicht die Intrigen, den Egoismus und die Heuchelei kennengelernt haben, die das Leben in Iran bei aller Herzlichkeit mit sich bringt, bei aller Verbundenheit innerhalb der GroÃfamilie, der Höflichkeit, die sie an Iran schätzen. Sie sind in Deutschland geschützter aufgewachsen, sie alle. Zugleich fehlt ihnen glücklicherweise das MiÃtrauen gegenüber den Ãlteren und der Familie, wie es in Deutschland bis in ihre Generation hinein noch geläufig ist. Für die Söhne, ebenso wie für ihre Frauen, auch die deutschen, sind die Eltern das eigentlich Beständige im Leben, mehr noch als die Partner, mit denen sie sich überwerfen, mehr als die eigenen Kinder, die einem später zürnen könnten, deren Zukunft man nicht kennt. Die Eltern sind immer da, wohin wir sie auch rufen, sie würden sich ins Auto, in den Zug, ins Flugzeug setzen, wann wir sie auch brauchen, sie würden uns versorgen und uns vielleicht zürnen, aber niemals so lange, was immer wir ihnen getan. Es sind Urängste, die der Verlust der Eltern wachruft, die Ãngste des Babys, das nach der Mutter schreit, ohne gehört zu werden.
Zurück aus den Reiterferien, erfährt es die Ãltere. Der Vater spricht mit ihr von der FuÃgängerzone aus, als die Hoffnung im Herzzentrum gerade wieder schwindet, da hat sie die ganze Zeit schon geheult, und ihm fällt kein rechter Trost ein, auÃer daà sie seine Stimme hört, die sie tatsächlich etwas beruhigt. Er rät ihr, sich abzulenken, etwa die Kräuter anzulegen, die sie vor den Reiterferien im Gartencenter gekauft haben, oder mit den Kindern aus dem Weiler zu spielen, so wie er sich mit dem Leben seines GroÃvaters beschäftigte, dessen Beschreibung nur Müll ist, befürchte ich, nicht einmal für GroÃvaters Freunde und Kinder von Belang und schon gar nicht dreiÃig Jahre später auf einem anderen Kontinent, in anderer Sprache. Es ist nur Müll. Sosehr der Enkel sich anstrengt, sie in etwas Lesenswertes zu verwandeln, ist GroÃvaters Selberlebensbeschreibung für kein allgemeines Publikum zu gebrauchen. Wegwerfen kann er sie auch nicht, denn das ist ja schon der Papierkorb hier.
Ich habe Mister Allanson gesehen, den Engländer, der GroÃvater zu sich auf den Platz neben den Kutscher holte. In der Selberlebensbeschreibung Enayatollah Sohrabs ist ein Photo mit allen Lehrern und Schülern der Bischofsschule Isfahan abgedruckt, die er besuchte, bevor er auf die Amerikanische Schule in Teheran wechselte. In der Mitte sitzt ein Greis, in sich zusammengesunken, schwarzes Gewand und Zylinder, der weiÃe Bart bis auf die Brust: Bischof Stewart, der Gründer der Schule. Wer der Mann neben ihm ist, der den Bischof schon im Sitzen einen Kopf überragt, geht aus der Bildzeile ebenfalls hervor: Mister Allanson. Ich schätze ihn auf dreiÃig, fünfunddreiÃig Jahre. Er trägt eine groÃe, rundliche Metallbrille, einen hellen Anzug und um den weiÃen Stehkragen eine Fliege oder einen Schlips. Auf der Kopie ist es nicht genau zu erkennen. Die schwarzen Haare sind nach hinten gekämmt und die Enden des Schnurrbarts in die Höhe gezwirbelt. Obwohl ich ihn mir irgendwie verwegen vorgestellt hatte, als einen Abenteurer in abgetragenem Khaki, mutet sein Anblick wie ein Wiedersehen an. Ich bilde mir ein, die Gütigkeit zu erkennen, die GroÃvater ihm zuschreibt. Den Blick zwar auf die Kamera gerichtet, sitzt Mister Allanson als einziger auf dem Photo etwas seitlich, zu Bischof Stewart gewandt, dessen Hand er hält. Auch den Kopf hat er leicht zum Bischof gebeugt, als ob er auf einen Wunsch oder eine UnmutsäuÃerung lauscht, wie um zu demonstrieren, daà er da ist, in jeder Sekunde bereit zu helfen. In der Haltung von Mister Allanson drückt sich fürsorglicher Respekt vor dem alten, zerbrechlichen Herrn aus, dem er bis nach Isfahan gefolgt ist, dessen Geschäfte er wahrscheinlich längst übernommen hat. Die anderen Lehrer scheinen Iraner zu sein, der eine im westlichen StraÃenanzug, die anderen beiden im langen Gewand, auf dem Kopf ein Turban oder ein Hut ohne Krempe. Mag auf der Kopie nicht einmal ein Schlips von einer Krawatte, ein Turban von einem Hut zu unterscheiden sein, so weist doch allein seine Körperhaltung im Bunde mit meiner Einbildung den Mann mit dem Schnurrbart rechts neben dem Greis als einen Menschen aus, der sich kümmert, wenn er einen fremden Jungen weinen sieht.
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