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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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erleichtert, daß endlich einer versteht: Der Jüngste solle das Auto holen und ihn nach Hause fahren. Den neuen BMW ? fragt der Jüngste. Der Vater nickt. Der neue BMW fährt sehr gut, fährt der Jüngste fort, dabei waren Sie so skeptisch. Nie hat der Jüngste ein Auto gekauft, das den Vater auf Anhieb überzeugt hätte, nie dessen Empfehlungen beherzigt, die zweifellos vernünftig waren und gutgemeint sowieso, respektloser noch: Den Wagen, mit dem der Vater ihn vor zwanzig Jahren über die Verschrottung des legendären Mirafiori hinwegtrösten wollte, ein Toyota mit zweijähriger Garantie des befreundeten Gebrauchtwagenhändlers, nahm der Jüngste nicht mal geschenkt. Er denkt, er könne den Vater mit diesen Alltäglichkeiten etwas aufmuntern, eine Art Alltäglichkeit erzeugen, und spricht über die letztlich günstigen Reparaturen, etwa tausenddreihundert Euro inklusive neuer Reifen, Ölwechsel, Desinfektion der Klimaanlage und anderer Inspektionen, so daß er zusammen mit dem Kaufpreis von zweitausendachthundert Euro für kaum mehr als viertausend einen BMW im besten Zustand erworben habe, nach zwanzig Jahren das deutsche Fabrikat, zu dem der Vater immer schon geraten, die hundertsiebzigtausend Kilometer für einen BMW so gut wie nichts, bis er merkt, daß der Vater wirklich meint, der Jüngste solle sofort das Auto holen, den neuen BMW , und ihn nach Siegen fahren, an der Raststätte Dollenberg vorbei. Als die Mutter und der Ophthalmologe an seinen Krücken auf die Intensivstation zurückkehren, hat der Vater noch lange nicht die Absicht aufgegeben, auf der Stelle nach Hause zu fahren, im Gegenteil, jetzt wird das Vorhaben erst recht zur fixen Idee. Er macht sogar Anstalten aufzustehen, wird wütend, als die Söhne auf ihn einreden, und greift nach den Schläuchen, um sie aus Hals und Nase zu ziehen, was die Söhne gerade noch verhindern, indem sie seine Hände aufs Bett drücken, der Ophthalmologe an Krücken die rechte, der Jüngste die linke Hand. Allmählich formen sich die Laute zu einem verständlichen Satz: Michâm beram chuneh , »Ich will nach Hause«, den er dann, als der Satz einmal gelungen ist, mehrfach wiederholt wie ein kleines Kind, das nicht im Kindergarten bleiben möchte. Als die Söhne ihn partout davon abbringen wollen aufzustehen und seinen Oberkörper so behutsam wie nur eben möglich aufs Bett drücken, schreit er mit Kräften, die sie für unmöglich gehalten hätten, schreit einmal, zweimal so laut, daß auch der Kardiologe ins Zimmer gestürmt kommt: »Ich will nach Hause.« Der Vater bringt auch die Anwesenden durcheinander, verwechselt die Krankenschwester mit der Mutter, beschimpft sie wahrscheinlich auf persisch und belegt sie mit Flüchen, die zum Glück unverständlich bleiben. Als die Kräfte schwinden, wandern nur noch die Augen unendlich traurig zwischen den Söhnen und der Krankenschwester umher, die er weiter für seine Frau hält, ob nicht doch jemand ihn nach Hause bringen könne. »Denn besser ists zu schlafen in der Hölle, denn / Nichtstaugend Krankseyn«, heißt es auf den allerletzten Seiten des elften und vorletzten Bandes, damit in den allerletzten Notizen Hölderlins vor der Irrenanstalt und dann der zweiten Lebenshälfte im Turm, von welcher der zwölfte Band Zeugnis ablegt. Die Notizen sind eine skizzenhafte Übersetzung einiger kurzer Stellen aus der Sophokleischen Tragödie Ajax , die sich auf den Wahnsinn des Helden beziehen, kein besonders anziehender Held übrigens, der kräftigste, aber nicht der hellste. Hell wird sein Verstand bei Hölderlin erst, als Ajax ihn verliert. Vier Zeilen später: »Ausduldender Vater! wie erwartet / Zu erfahren von dem Kinde / Dich unerträglich ein Schade.« Übergangssyndrom, murmelt der Kardiologe, eine zeitweise Desorientiertheit, nicht ungewöhnlich in diesem Alter nach so langer Narkose. Die Aufregung stimuliere den Körper, Beruhigungsmittel hätten den gegenteiligen Effekt und seien daher nicht angeraten. Soll er sich nur die Schläuche aus dem Hals und der Nase reißen, antwortet der Kardiologe auf die bange Frage, was geschehe, wenn niemand da ist, um die Hände des Vaters festzuhalten und die Brust aufs Bett zu drücken; es wäre nicht lebensbedrohlich, nur schmerzhaft. Ich geh das Auto holen, lügt der Ophthalmologe, dem es an seinen

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