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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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schon nach ein oder zwei Stunden ein Lächeln, eine geflüsterte Begrüßung, so seltsam oder unwohl er sich fühlt. Der Vater, der vor den Söhnen bis zum letzten Abend vor der Operation Stärke und Gottvertrauen demonstriert hatte, nickte ihnen beim Hereinkommen und bei der Verabschiedung nicht einmal zu, obwohl die Muskeln es erlaubt hätten und sein Geist sie erkannte. Der einzige, nach dem er fragte, war der Internist, der ihm schon einmal das Leben gerettet hatte – genau gesagt röchelte der Vater etwas Unverständliches, das im Tonfall eine Frage sein mochte, und nickte beim Internisten, als der Jüngste alle möglichen Namen durchging. Nicht einmal die Nachricht, daß der Jüngste betet, schien ihn zu freuen oder auch nur zu interessieren. Wenn die Frühgeborene aus dem Paradies kam, ist der Vater aus einer Hölle zurückgekehrt, einer Hölle nicht nur für seinen armen Körper, sondern ebenso in Zonen, die der Jüngste nicht kennt. Wie die Frühgeborene am Tag nach ihrer Geburt oder Nasrin Azarba kurz vor dem Tod ist seine Existenz reduziert auf das nackte Leben, die existentiellen Körperfunktionen, die Luft, die in den Körper gelangt und wieder verströmt, die Blutbahnen, der Herzschlag, der Puls, der Wimpernschlag. Alles andere läuft ohne eigene Steuerung, automatisch, die Nahrung, die ihm durch die Magensonde eingeführt wird, die Ausscheidungen, die Flüssigkeit, die ihn wahrscheinlich ebenfalls durch einen der Schläuche erreicht, obwohl er andererseits quälenden Durst hat und einen staubtrockenen Rachen, wie er durch Nicken bestätigte. Wie die Frühgeborene im Perinatalzentrum benötigt er im Herzzentrum noch mechanische Unterstützung für die Atmung. Bitte einatmen, wollte der Jüngste jedesmal rufen, bitte ausatmen, als sei jede Atemwende ein Zugeständnis. Regelmäßig sprühte er dem Vater einen weißen Dampf in den Mund, um den Gaumen zu benetzen. Nur zur Anwendung in Intensivstationen, stand auf der Dose. Vom Supermarkt waren die Papiertaschentücher, die der Jüngste dem Vater regelmäßig in den Mund stopfte, um den braunfarbigen Eiter aufzuwischen, den der Vater nicht auszuspucken vermochte. Allein, die Blaugewandeten waren zufrieden, das war das Merkwürdige. Sie blickten auf die ein Meter siebzig Elend und meinten, daß es ganz gut aussehe, jetzt nur bitte keine weiteren Komplikationen, dann werde er schon wieder auf die Beine kommen. Auch die Krankenschwester zeigte, anders als am Sonntag, als sogar die Intensivmediziner den Ausnahmezustand erklärten, keine Anzeichen von Beunruhigung. Der Jüngste spürte nach einer Viertelstunde dennoch, wie sein Kreislauf in den Keller sank, so daß er umgefallen wäre, wenn die Krankenschwester ihm nicht geistesgegenwärtig einen Stuhl an die Kniekehlen gerückt und ihn mit beiden Händen auf die Sitzbank gedrückt hätte. Immer das gleiche mit den Männern, lachte sie ihn beinah aus und reichte einen Becher Wasser. Der Ophthalmologe meinte auf der A 45 , daß die Intensivmediziner nur den jetzigen Zustand beurteilten, die Werte, den Verlauf, das Alter, und es dafür tatsächlich ganz gut aussehen möge nach den beiden Operationen und der dritten, zu der es Gott sei gepriesen nicht mehr kam, genaugenommen nur aus Zufall, weil der Oberarzt gerade mit einem anderen Herzen beschäftigt war, den Blutungen, der Lungenentzündung, den sechs Tagen durchgehender Narkose. Als Intensivmediziner hätten sie nicht im Blick und schon gar nicht auf den Bildschirmen oder Diagrammen, was ihr Vater vor einer Woche noch war, also die Relationen. Als der Jüngste abends im Bergischen Land eintraf, war er so erschöpft, daß er nur mit Mühe die Füße anheben konnte beim Gehen. Er schlief ein, um nach zwölf Stunden nur mit Mühe aufzustehen. Der Vater wird zurückkehren, sagt der Befund. Auch mit der Atmung klappt es heute etwas besser, freut sich der Internist, der wie jeden Morgen mit dem diensthabenden Kardiologen gesprochen hat. Wenn alles gutgeht, wird der Vater in einigen Tagen, spätestens einer Woche aus der Intensivstation entlassen. Der Jüngste strengt sich an, es zu glauben. Gibt es etwas Neues über den Entführten? Es sterben ja dauernd Menschen oder sind in Gefahr, die man mag, man muß nur die Zeitung aufschlagen. Würden sie einen alle bekümmern, hätte man jeden Tag mit dem Tod zu

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