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Hindus und Muslime ärmer sind und seit jeher Tür an Tür wohnen, gab es nur vereinzelte Ãbergriffe. Wie in so vielen, insbesondere den islamischen Ländern, besinnen sich auch in Indien paradoxerweise vor allem die Mittelschichten auf ihre eigene Kultur, also jene Menschen, deren Leben am stärksten in die Globalisierung einbezogen ist. Plötzlich achten Fernsehsender auf die religiöse Unbedenklichkeit ihrer Programme, und abgeschlossene Wohnsiedlungen werben damit, daà in ihnen »das harmonische Leben, wie es vorgeschrieben ist in den Veden und Vedantas« wiederbelebt werde. Das Lebensgefühl, das sich in solchen Anzeigen ausdrückt, ist nicht durch Haà bestimmt, der sich auch kaum mit den Wunschbildern vertrüge, die die moderne Werbeindustrie produziert, sondern eher durch Selbstvergewisserung, Wertverbundenheit und Frömmigkeit. Gegen die emphatische Säkularität der indischen Staatsgründer und die urwüchsige Multikulturalität des Subkontinents, von der Europa auch heute noch lernen könnte, sehnen sich immer mehr Inder nach einer hinduistische Leitkultur, innerhalb derer Muslime und Christen durchaus Filmstars werden können, Wirtschaftsführer oder sogar Spitzenpolitiker. Aber ihren Glauben sollten die Filmstars und Spitzenpolitiker nun nicht gerade öffentlich praktizieren, wogegen die hinduistische Prominenz auf jeden Pilgerzug springt, der gerade von einer Fernsehkamera gefilmt wird. Es ist diese viel weniger auffällige Entwicklung, für die Gujarat ein Laboratorium geworden ist, nicht der dumpfe religiöse HaÃ. Nirgendwo anders überträgt sich die Entdeckung und Konstruktion dessen, was als das Eigene gilt, so deutlich auf die soziale Praxis. Allein an einem langen EÃtisch sitzt ein älterer Herr, der durch seine Mütze und den Kinnbart als Muslim zu erkennen ist. Als der Berichterstatter sich zu ihm setzen möchte, steht der Herr auf, um das Tablett zurückzubringen. Gut, sein Teller ist leer, er wollte vielleicht wirklich gehen, dennoch irritiert die Eile. Der Berichterstatter beschlieÃt, seinen Teller nicht aufzuessen, um dem Herrn zu folgen. Er ist ein Professor, stellt sich auf dem Hof heraus, einer der wenigen Muslime, die noch am Kolleg lehren, aber jetzt müsse er wirklich weg, nein, nein, alles sei gut, er habe lediglich noch einen dringenden Termin, nein, es sei alles gut, Gott sei gepriesen. Die Angst in seinen Augen ruft Erinnerungen an Iran wach, Begegnungen mit Menschen, die sich ducken. Friede sei mit Ihnen, verabschiedet der Berichterstatter ihn mit dem islamischen GruÃ. Und mit Ihnen Frieden, gibt der Professor zurück. Noch in der Bewegung, mit der er sich abwendet, murmelt er dem Berichterstatter zu, daà die Muslime in Gujarat keine Zukunft hätten. Der da, und er blickt hinüber zur Bühne, wo gestern der Chief Minister über development und capacity sprach, der da sei sehr geschickt.
Am Rande der AusfallstraÃe bleibt das Auto plötzlich stehen. â Dort stand der berühmte Schrein von Wali Gujarati, sagen die Begleiter und zeigen zur StraÃenmitte. â Wo? â Dort. â Aber da ist nichts. â Eben. Der Berichterstatter geht mit auf den breiten Mittelstreifen. In der Dunkelheit erkennt er die Umrisse des Teers, der später als die übrige StraÃendecke gegossen wurde. Wali Gujarati war der erste Dichter Gujarats, der seine Verse nicht auf persisch, sondern im einheimischen Urdu verfaÃte. Sein Grab war ein Wallfahrtsort für Literaten und Mystiker, Muslime und Hindus. Innerhalb eines Abends wurde es in Schutt und Asche gelegt. Keine Woche, da waren die Trümmer geräumt und die Stelle geteert, als sollte jede Erinnerung an die gemeinsame, gröÃtenteils friedliche Geschichte von Hindus und Muslimen auf dem indischen Subkontinent ausgelöscht werden. Die Geschichte, wie sie von Fundamentalisten weltweit gelehrt wird, kennt die Eigenen nur als Opfer, die anderen ausschlieÃlich als Gewalttäter, die Websites mit den täglichen Aggressionen der jeweils anderen stets nach dem gleichen Muster und mit den gleichen Sprüchen, keine Toleranz den Intoleranten, weil sich weltweit alle für tolerant halten. Wie in Europa die jüdisch-muslimischen Wurzeln der Aufklärung oder im Vorderen Orient das jüdische und christliche Erbe des Orients, wird in Indien die Verschränkung der religiösen Traditionen geleugnet, die in der
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