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Kaschmir reisen, Kaschmir?, wer von euch, fragt die Chefredakteurin in die Runde, wer interessiert sich noch für Kaschmir?, Sie sehen, niemand redet hier mehr über Kaschmir. Wenn es kein Thema ist, haben Sie vielleicht das falsche Thema, wagt der britische Botschafter anzudeuten. Eben weil es kein Thema ist, ist es mein Thema, erwidert der Berichterstatter. Später am Abend die Antwort der Anwältin, die über die Verhältnisse auf dem Land sprach, daà sie zum Gewehr greifen würde, wenn sie auf dem Land lebte, und ich bin meiner ganzen Sozialisation nach keine Revolutionärin, aber wenn du seit Generationen dein Stückchen Boden an einem Fluà bewirtschaftest, und dann kauft ein Konzern den Fluà von hier nach da, Männer in Anzügen schlagen an die Tür, halten Dokumente in die Höhe, ihre security marschiert auf, weil du deine Hütte nicht freiwillig verlassen hast, sie setzt dich ohne Geld in einer fremden Stadt aus, wo du nicht einmal die Sprache verstehst, du schlägst dich nach Hause durch, aber das Land ist bereits abgeriegelt, wieder security , und niemand, an den du dich wenden kannst, kein Gericht, keine Behörde, keine Polizei â was tust du da? Wehrst du dich, bricht dir die security die Knochen, und zwar jeden Tag in Indien, ganze Berge werden verkauft, Wälder, dazu eine systematische Politik, die Landwirtschaft unrentabel zu machen für einzelne Bauern, so daà Agrarkonzerne den Boden billig übernehmen können, wo nicht Industrieanlagen gebaut oder Bodenschätze abgebaut werden. Soviel zum Wachstum. â I think in your job one has to be more smooth, belehrt ihn der Sitznachbar, der nach dem Beruf gefragt hat. Welche Fälle betreuen Sie? fragt der Berichterstatter die Anwältin. In Hashempur, südlich von Delhi, erschieÃt ein privates Sicherheitsunternehmen im Jahr 1987 neunzehn Bauern. Nach zwanzig Jahren haben die Angehörigen es geschafft, die Morde vor den Obersten Gerichtshof zu bringen. Vertrauen Sie den Richtern? Die Anwältin lacht: Nein. Wir hatten einen guten Richter, der abgesetzt wurde, jetzt ist es mehr eine Kampagne als ein Verfahren, und siehe da: Plötzlich ist der Konzern nervös. Was allein dafür spricht, daà der Berichterstatter etwas von Indien begreifen wird, ist der Umstand, daà er sich die Reportage vor allen anderen Reisen genausowenig zutraute. Was dagegen sprach, waren die verdammten Krücken, die er deshalb am Connaught Place einem anderen Krüppel schenkte. Dessen Lachen lohnte allein den Beinbruch. Der Berichterstatter hat mit dem Landeanflug auf Ahmadabad begonnen.
Spricht so ein Extremist? Der dicke Mann mit kurzgeschnittenem Bart, randloser Designer-Brille, das traditionelle Gewand nach neuer Mode kurzärmelig wie ein Businesshemd, redet nur von Technologie und Wirtschaft, glänzend die Daten, die er präsentiert: das höchste Wirtschaftswachstum Indiens, die gröÃten Sonderwirtschaftszonen, die rasanteste Industrialisierung, die meisten Investoren, die niedrigsten Steuern, die höchsten Forschungsausgaben, die liberalsten Wirtschaftsgesetze. Jede neue Zahl bekräftigt der Chief Minister, wie ein Ministerpräsident in Indien heiÃt, indem er die kräftigen Hände abwechselnd nach vorne wirft wie ein Dirigent seinen Stock mit dem letzten Takt. Zwischen den Sätzen legt er lange Pausen ein, als wolle er auÃer seiner tiefen, krächzenden Stimme auch die Argumente nachklingen lassen. Keine starken Emotionen, nicht einmal etwas Werbendes im Tonfall. Der Chief Minister tritt als die personifizierte Rationalität auf. Nach einer halben Stunde achtet der Berichterstatter nicht mehr auf den Ãbersetzer, sondern nur noch auf die englischen Wörter, die in jedem Satz vorkommen: development , capacity , management , computer , technology , software , screening , ingeneering , industry , advanced , laser printer und sogar metro . Was, die wollen eine Metro bauen? schreckt der Berichterstatter auf. Nein, nein, klärt der Ãbersetzer auf: »Metro« heiÃt auf gujarati »Freunde«. Für die meisten der zehntausend Studenten, die sich auf dem Campus des Technischen Kollegs von Ahmadabad versammelt haben, ist der Chief Minister ein Idol, effizient, arbeitswütig, vor allem: nicht korrupt. Wird er Anfang Dezember wiedergewählt, so sagten in Delhi alle Gesprächspartner voraus, greift er nach dem Vorsitz der hindu-nationalistischen Partei
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