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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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– mit dem Ziel, Indiens künftiger Regierungschef zu werden. Gujarat, so haben seine Anhänger immer wieder verkündet, ist das »Laboratorium« einer radikal neuen Politik. Für die vielen Verlierer von Gujarats entfesselter Marktwirtschaft, vor allem aber für säkulare Inder und Indiens 130 Millionen Muslime ist der Bundesstaat eher eine Hexenkammer. Für sie »vibriert« Gujarat nicht, wie es der Slogan der Hindu-Partei verkündet, sondern stinkt zum Himmel.
    Nein, an den Gestank haben sich die Vertriebenen nicht gewöhnt, an den kann man sich nicht gewöhnen. Strom haben sie, Gott sei Dank, zwei winzige Räume, in denen sie zu fünft wohnen, sogar einen Ventilator. Fünf Nägel, an denen die Kleider hängen, zwei Energiesparbirnen, zwei Liegen als Mobiliar, ein Tisch, zwei Plastikstühle, Blechtöpfe auf dem nackten Betonboden. Sicher ist es eng, aber die Nachbarn sind zu acht. Das Problem ist das Wasser. Zwar gibt es Brunnen im Flüchtlingscamp, aber weil nebenan die Müllkippe den Boden verseucht, wird ständig jemand krank, vor allem die Kinder, fünf Kilometer bis zum nächsten Arzt, und wo eine Schule wäre, das weiß hier niemand. Auf dem Tisch türmen sich Bluejeans, auf die sie weiße Ornamente nähen, zwei Rupien pro Hose für den Discolook, umgerechnet vier Cent. Zu dritt schaffen sie am Tag vierzig Muster. Ein Kind tritt in das Zimmer. Es ist nicht älter als fünf. Zum Glück, denkt der Berichterstatter. Vor fünfeinhalb Jahren, am 28. Februar 2002, brachen in Gujarat Ausschreitungen gegen Muslime aus. Einen Tag zuvor waren siebenundfünfzig hinduistische Pilger bei einem Zugbrand umgekommen. Obwohl eine staatliche Kommission festgestellt hat, daß der Brand wahrscheinlich innerhalb des Zuges ausbrach, bezeichnen Hindu-Nationalisten das Unglück weiterhin als einen Terroranschlag, der zu einem spontanen Ausbruch der Emotionen geführt habe. An der Spontaneität bestehen allerdings Zweifel. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen waren die Angreifer gut organisiert, die auf Lastwagen morgens in der Landeshauptstadt Ahmadabad eintrafen. Außer Messern und den traditionellen Dreizacken des Gottes Vishnu, Gasbehältern und Sprengkörpern führten sie auch Listen mit den Adressen muslimischer Häuser und Geschäfte bei sich. Parlamentsabgeordnete der Hindupartei, sogar Kabinettsmitglieder gaben per Handy Anweisungen, welches muslimische Viertel als nächstes überfallen werden sollte. Etwa zweitausendfünfhundert Muslime starben. Hunderttausende wurden aus ihren Häusern vertrieben. Einige Monate später kämpfte der Chief Minister um seine Wiederwahl. In seinen Reden beschränkte er sich nicht auf Technologie und Wirtschaft, sondern stachelte offen zum Haß gegen Muslime an und rechtfertigte indirekt immer wieder die Gewalttaten, deren Ausmaß er zugleich konsequent leugnete. Wenn er vor Publikum trat, überschlug sich seine Stimme. Damals sprach er wie ein Fundamentalist. Für die Vertriebenen ist er es geblieben. Der Berichterstatter fragt, ob am 28. Februars 2002 alle Mitglieder der Familie zu Hause waren. – Die Regierung hatte doch eine Ausgangssperre verhängt, erinnern sie. Gegen halb elf der Lärm, deshalb sahen sie aus dem Fenster, schon stürmten die Angreifer in die Gasse, alle dieselbe Kleidung: braune Shorts, orange Stirnbänder, riefen die Bewohner nach draußen, wo die Benzinkanister bereitstanden, dann so schnell Feuer, daß die Mutigsten und die Ängstlichsten verbrannten. Wie durch ein Wunder haben die Vertriebenen niemanden verloren. Ihrer Nachbarin Koussar Banu, die im neunten Monat schwanger war, schnitten die Angreifer den Fötus aus dem Bauch. Ja, die Vertriebenen haben es selbst gesehen. Eine Schwägerin nickt, die andere holt ein Photo hervor. Die Angreifer haben es getan, damit es alle sehen. Sie allein haben fünfundzwanzig abgeschnittene Körperteile gezählt. Umgerechnet hundert Euro Entschädigung gäbe es für eine Verletzung, dreihundert für ein verlorenes Bein, aber der Staat zahlt nicht, obwohl viele Organisationen auf ihrer Seite sind, auch Anwälte, gute Anwälte, die sie kostenlos vertreten. Hier die Papiere, schauen Sie, sogar aus Delhi haben wir einen positiven Bescheid erhalten, schauen Sie, hier in der Zeitung, selbst in der Zeitung steht’s. Ja, sie hatten Zeit, die abgeschnittenen Glieder zu

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