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Konflikt alle Beteiligten, die Bevölkerung, die Regierenden, die Soldaten, der Widerstand, das Ausland â aber geschehen ist seit Jahren nichts, keine Gespräche, keine Friedenskonferenzen, seit der neuen indisch-amerikanischen Allianz auch kein internationaler Druck mehr auf Delhi und Islamabad. Das war in den neunziger Jahren anders, als das WeiÃe Haus Kaschmir wegen der indischen und pakistanischen Atombomben den gefährlichsten Konflikt der Welt nannte. Heute ist Indien zu stark, um Kompromisse eingehen zu müssen, und die pakistanische Regierung zu schwach, um welche eingehen zu können. So reduziert sich der Frieden bisher auf einen Bus, der einmal in der Woche zwischen dem indischen und dem pakistanischen Teil Kaschmirs verkehrt.
Weil das Leben tagsüber so normal wirkt, dauert es ein paar Tage, bis der Berichterstatter begreift, warum niemand sich am Abend verabreden möchte. Wenn man ein Auto besitzt, kann man noch durch die leeren, unbeleuchteten StraÃen fahren, zu einem Bekannten oder einem der vornehmeren Restaurants, die bis neun oder allenfalls halb zehn geöffnet sind. Wahrscheinlich würde man danach eine Bar noch finden, wenn man den Aufpreis zahlt, den die islamic movements auf die Drinks schlagen: I respect that . Aber ein Taxi ist ab acht Uhr nicht mehr aufzutreiben, ab neun keine Rikscha. Selbst der Fahrer, der den Berichterstatter wie seinen persönlichen Staatsgast umhegt, läÃt sich nicht überreden, nicht einmal für den doppelten Fahrpreis. Wenn schon, müÃte der Berichterstatter es als Gefallen formulieren, aber dann nähme der Fahrer überhaupt kein Geld. Heute abend lieà der Berichterstatter sich zum Essen in der Stadt absetzen. Die Gastgeber bringen mich schon zurück zum Hausboot, beruhigte er den Fahrer. Die Gastgeberin war eine Deutsche in einem Sari, die von den letzten drei Jahren anderthalb in Kaschmir verbracht hatte, anfangs Indienbegeisterung, naiv, wie sie selbst sagte, ohne Vorwissen mit den Hindus auf die Pilgerfahrt in den Himalaja, wo sie dem Sufismus begegnete, jetzt sei ihr Standpunkt ganz klar für Kaschmir. Ihre Vorbehalte gegen den Berichterstatter: Ich meine, wie will man in fünf Tagen ⦠Wenn man erlebt, was ich ⦠Um die Tapferkeit und das Leid der Kaschmiris darzulegen, erzählte die Deutsche lang und breit vom Freund, der gefoltert wurde, um sie anzuschwärzen. Von seiner Verhaftung erfuhr sie erst, als er wieder frei und sie zurück in Deutschland war; der Freund hatte sie nicht beschämen und keinen Skandal daraus machen wollen. Auf den Gedanken, daà er ohne ihren klaren Standpunkt nicht gefoltert worden wäre, kam sie nicht. â Wer bringt dich eigentlich nach Hause? Weil sie ihn schon für ahnungslos genug hielt, log er, daà drauÃen sein Fahrer warte. Irgendeine Rikscha findet man immer, sagte er sich. Als er die nächsten zwei Stunden durch die stockdustere Stadt lief, war ihm dann doch so unheimlich wie auf einem Minenfeld, nicht einmal die Soldaten noch zu sehen, die Checkpoints wie verlassen. An der verlassenen Uferpromenade rief Gott sei gepriesen die Frau auf dem Handy an. Ein weiteres Mal lachten die Eheleute über ihren Urlaubszwist und den Navigator, der sie an allen Flughafenschildern, die nur von Touristen beachtet werden, auf die LandstraÃe, weil der Navigator die Abkürzungen kennt, NebenstraÃe, wo wir schon einmal so weit gefahren sind, Schotterpiste, auf der Papa seine Technikgläubigkeit zugab, Feldweg, wie kommen wir hier heraus?, fünfzehn Meter an die Startbahn des Flughafens führte, von ihrem »Bestimmungsort« getrennt nur durch einen Zaun. Während das Flugzeug ohne die Familie abhob, wartete der Fährmann nervös am Steg, um den Berichterstatter zum Hausboot überzusetzen, der sich am Donnerstag, dem 18. Oktober 2007, um 0:45 Uhr auf dem Deck auÃer mit Jacken und Pullover mit dem süÃen Jasmintee wärmt, den ihm der Bootsherr wie jeden Abend vor dem Schlafengehen in einer Thermoskanne gebracht.
SchlieÃlich trifft der Berichterstatter doch noch einen Führer, der am bewaffneten Kampf und dem Ziel eines islamischen Staates festhält. Zufall oder nicht â der Extremist ist mit Abstand der charismatischste Politiker, den Kaschmir zu bieten hat, ein alter, eleganter Mann mit weiÃem Bart, die Wangen und, bis auf einen dünnen Streifen, die Oberlippe rasiert. Zumal mit der viereckigen
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