Dein Name
passiert jetzt? fragt sich der Berichterstatter noch, als er schon die Spucke auf der Nase spürt. Zu seiner eigenen Ãberraschung ist der Berichterstatter alles andere als gekränkt, nimmt vielmehr die Spucke, die ihm über die Lippe flieÃt, wie gottgegeben hin und fühlt sich sogar ein wenig geehrt, überhaupt wahrgenommen zu werden, ungefähr so wie Madschnun mehr als alle Wörter das Wort nein liebt, weil es das einzige ist, mit dem Leyla ihn je bedacht. »Soll ich sagen, mich habe der Gram um dich getödtet? o nein! o nein! er war mir ja willkommen, dieser Gram, er gab dem Tode, den ich in mir trug, Gestalt und Anmuth.« Wie auf Knopfdruck hat sich die Anspannung gelöst, der Berichterstatter hört auch kein Grummeln mehr im Rücken, so daà er einige Minuten mit der Spucke im Gesicht verweilt, die auf sein Hemd flieÃt, und wartet, was als nächstes geschieht, bis Ahad Baba genauso plötzlich, wie er die Nase bespuckt hat, ihn anlächelt. Der Berichterstatter verbeugt sich zweimal zum Abschied, einmal im Knien, einmal im Stehen, und geht auf seinen Schuhen rückwärts aus dem Gartentor. »Man genieÃet die Natur nie ganz«, wird der Berichterstatter ein Jahr später in Jean Pauls Konjektural-Biographie lesen, »wenn man irgendwo â und wärâs zum nächsten Pfahl â hinwill, oder auf irgendeine Sache â und wärâs eine Geliebte â ausläuft: sondern man lasse sich wie ein schlafender Schwan dahingegeben von ihren Wogen drehen und führen.«Auf dem Weg zurück setzt ihn der Fahrer mit einem erleichterten Seufzer, endlich eine touristische Attraktion zeigen zu dürfen, an einem der Mogulgärten ab, der den Berichterstatter wohl auch deshalb überwältigt â mehr überwältigt als sogar der Heilige, zu dem er so erwartungsfroh hinfuhr â, weil er sich vom Standardprogramm der indischen Touristen nicht viel versprach, und dann ist es doch ebenjenes Paradies auf Erden, das kein Bericht über den Krieg unerwähnt läÃt, die riesigen, nein, riesenhaften grün-roten Bäume, die himmlische Ordnung der Brunnen und Bäche, Blumenbeete und Wasserfälle, davor der schillernde Dal-See mit den glänzendschwarzen Giebeldächern und Kuppeln Srinagars im Hintergrund, im Rücken die braunen Berge, die Farben des Herbstes, die nicht minder leuchten als die Farben der Saris. So begeistert ist er, daà er sich trotz der Warnung des Fahrers, das Flugzeug zu verpassen, zum See zurückbringen läÃt, um mit der Fahrt auf der Gondel noch Standardpunkt zwei zu absolvieren. Hier müÃte man auf Erden wohnen, sieht er ein, als er an den Hausbooten am anderen Ufer vorbeigleitet: in Kaschmir, weit weg von Kaschmir.
Drei Stunden später, es ist 17:54 Uhr am Freitag, dem 19. Oktober 2007, sitzt er auf dem Boden der winzigen Abflughalle von Srinagar, wo alle Taschen, Körper, Pässe fünfmal kontrolliert werden und alle fünf täglichen Flüge nach Delhi in derselben Stunde starten, so daà rings um ihn der Ausnahmezustand herrscht, Sicherheitsbeamte, die mit Koffern herumlaufen, die nochmals geöffnet werden müssen, Passagiere, die nach ihrem Gepäck fahnden, Stewardessen, die zum Einsteigen drängeln, Soldaten mit Maschinengewehr, die sich den Schweià von der Stirn reiben, Piloten, die sich erkundigen, wo ihre Passagiere bleiben. Sollte er wiederkehren â und er hat es dem Fahrer versprochen, der lebenslang das Papiertaschentuch aufbewahren wird, mit dem der Berichterstatter sich im Auto die Spucke abwischte, hat ihm versprochen, das nächste Mal mit Frau und Kindern zu kommen, so viele Standards noch zu absolvieren â, sollte der Berichterstatter als Urlauber wiederkehren, würde es ihm trotz der Stille am anderen Ufer des Dal-Sees schwerfallen, nicht wieder auf dem Hausboot in der Nähe der StraÃe zu übernachten, mit dem Paris Photo Service , der jeden Morgen vorbeirudert, dem schwimmenden Supermarkt und einem Bootsherrn, der mit dem süÃen Jasmintee auch alle Neuigkeiten liefert. Schön wäre es, dann auch den Ingenieur wiederzutreffen mit seiner Familie.
Die Ostküste des Kaspischen Meeres scheint nicht so fruchtbar zu sein wie der Norden Irans, wo er als Kind oft die Ferien verbrachte, der Geruch der gerösteten Maiskolben noch in der Nase, die GroÃfamilie am, nein, im Wasser, vier Generationen zusammen, ein Heidenspaà und
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