Dein Name
längst ahnen, haben es vielleicht in einer Rezension gelesen oder zuvor in der Frankfurter Poetikvorlesung des Sommersemesters 2010 gehört, daà es sich bei dem Schnäppchen um die Leseausgabe des eigentlichen, des legendären Frankfurter Hölderlin handelt, der mit einem der gröÃten Coups der deutschen Nachkriegsliteratur begann. Vor Freude über den Auftrag, der buchstäblich aus den Wolken auf das Hausboot herabkommt, lädt der Romanschreiber den Himmelsstürmer von Redakteur, der den Absatz über Urlaub in Polen am Donnerstag, dem 18. Oktober 2007, nicht etwa auf der Jugendseite oder in der Wochenendbeilage, sondern als Aufmacher im Feuilleton brachte, »obwohl niemand in der Redaktion je von dieser Band mit dem komischen Namen gehört hat«, spontan zum Geburtstag ein und wird nun zum ersten Mal seit seiner Jugend eine Party geben, wie er per Rundmail allen übrigen Freunden und Verwandten mit lieben GrüÃen aus Srinagar schon mal ankündigt, um keinen Rückzieher mehr machen zu können. »Ich selbst werde in den nächsten Wochen viel auf Reisen sein, so daà ich mich wohl frühestens Ende Oktober, Anfang November wieder melde, dann hoffentlich mit einer ordentlichen Einladung auf Papier mit Babyphoto und lustigen Sprüchen, damit mir ein Schmuckbrief nicht erst zur Beerdigung gelingt.« Schon als Fünfzehnjähriger merkte er, daà Feste niemals halten, was er sich von ihnen verspricht. Lädt ihn jemand ein, überlegt er als erstes, ob er realistisch absagen könnte. Zumal auf Partys steht er immer herum wie ein Kellner, der sich im Dienstplan vertan, und die Musik ist gewöhnlich so was von scheiÃe. Wenn die Freunde in Köln wären, würde er nichts sagen, aber die meisten müssen anreisen, der ganze Aufwand nur für ihn. Das hätte wahrscheinlich den Ausschlag gegeben, den vierzigsten wie alle anderen Geburtstage in der Kneipe zu begehen, ohne jemandem etwas zu sagen, am Schreibtisch, in einem etwas besseren Restaurant mit der Frau oder wie letztes Jahr im Café Milano, das nicht gemütlicher ist als die Abflughalle in Urgensch. Jedoch am 18. Oktober 2007 auf dem Hausboot in Kaschmir will er für das letzte Lebensjahr danken und mit Nasrin Azarba und Karl Otto Hondrich nicht nur der Hälfte des Lebens. Die Musik wenigstens wird nicht scheiÃe sein.
Weil schon der verstorbene Baba Schukur-e Din ihn entrückte, fährt der Berichterstatter vor dem Morgengrauen wieder die zwei Stunden nach Sokkur, um vor dem Abflug noch einen lebenden Heiligen zu sehen, der diesmal auf dem Rasen sitzt, ein auffallend heller Greis mit langen Haaren und einem Bäuchchen, nackt wie immer, splitterfasernackt, hinter ihm ein Sofasessel so blau wie aus Schweden. Ein Helfer nimmt die Mitbringsel der Pilger an, die sich zu Hunderten am Gartenzaun drängen, Briefe, Kleidungsstücke, Photos, und reibt sie am Oberschenkel Ahad Babas, der den Kopf bewegt, im Abstand von vielleicht zehn Sekunden spuckt und längst jenseits der Sprache ist. Von hinten tippt jemand an die Schulter des Berichterstatters, führt ihn an das kniehohe Holztor, das in einem deutschen Schrebergarten stehen könnte, und schlieÃt es hinter ihm wieder zu. Der Berichterstatter hat keine Ahnung, ob er sich Ahad Baba nähern darf, nähern soll und mit welchen Gesten, Worten, Blicken, weià nur Hunderte, gar tausend Augen auf sich gerichtet. Als er bereits auf Ahad Baba zugeht, fällt ihm ein, daà er den heiligen Rasen mit Schuhen betritt, genau gesagt fällt es ihm nicht ein, sondern weist ihn das Grummeln der Menge auf den Fauxpas hin. Geht er zurück, um die Schuhe auszuziehen, erregt er noch mehr Aufmerksamkeit, sie mitten im Heiligtum liegenzulassen kommt ebenfalls nicht in Frage, also hofft er auf seinen Bonus als Fremder. Erst verbeugt er sich stehend, dann kniet er sich einen Schritt entfernt von Ahad Baba hin, der weiter spuckt, dann verbeugt er sich, und weil immer noch nichts geschieht, wartet er auf Knien einfach ab, ohne eine Aura, einen Segen oder auch nur den vielzitierten Frieden zu spüren, im Gegenteil: Von einer gläubigen Menge beobachtet, die einmal bereits gegrummelt hat, und einem splitterfasernackten Heiligen gegenüber, der ihn vollständig ignoriert, möchte er sich lieber in Luft auflösen. Aber nicht einmal dieses Wunder geschieht. Plötzlich blickt ihn Ahad Baba mit undurchdringlichen Augen an. Was
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