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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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deshalb von der Islamischen Republik verboten, der Strand heillos verdreckt, weil getrennt nach Geschlechtern ohnehin niemand mehr sonnenbaden möchte und lieber nach Dubai, in die Türkei oder nach Zypern fliegt, wer sich früher eine Villa im Norden leisten konnte. Gerade fliegt er über die Linie, an der die Wolken beginnen, davor das Meer, so daß es aus dem Fenster wie eine Küste aussieht, ein Erdteil aus Dampf. Der Berichterstatter macht eines der komischen Urlauberphotos aus dem Flugzeugfenster. Schon liegt das Land hinter ihm, ist es aus dem Blickfeld verschwunden, ist es nicht mehr da. Time to Destination: 4:16. Wieder dachte er während der Reise, selbst in Kaschmir, daß Teheran der Ort sei, an dem er die nächsten Jahre leben wollte, ausgerechnet Teheran, diese Schutthalde, durch die sich Blechschneisen ziehen, ausgerechnet Iran, dieser Staat, der Gott zu seinem Folterknecht gemacht. Anders als früher wäre er bereit stillzuhalten, keine Berichte nach Deutschland zu schicken, auch nicht mitzumischen, wo sich etwas Aufständisches tut. Er müßte gar nicht viele Kontakte haben, würde vom Norden der Stadt aus, wo es sich bequem leben und die Luft sich halbwegs atmen läßt, seine Bögen ziehen, Chronik für keine Leser führen über Verlust und Aufbruch. Es wäre keine Rückkehr, er wollte nicht zurück nach Isfahan, auch kein denkmalgeschütztes Haus mit Innenhof, Wasserbecken und Granatapfelbaum kaufen. In Isfahan liegen die Erinnerungen und Verbindungen; Teheran wäre neu und ist Zukunft. Sein Jahr in Arkadien tauschte er sofort dafür ein. Immerhin beginnt er zu ahnen, gegen welche Behauptungen des Künstlertums, von Geschmack und Italien er sich in der Deutschen Akademie wappnen wird müssen; schon die Photos im Internet von Empfängen, Partys und Lesungen, der Bundespräsident lacht in der Runde der Stipendiaten, die sich wie Chorknaben aufgestellt haben, dazu die Klagen der richtigen und das Schwärmen der falschen Stipendiaten. Alles spricht gegen Teheran, zuerst die Frau, deren Abwendung von ihm sich auch als Abkehr von Iran ausdrückt, dann die Ältere, die bald schon unters Kopftuch gezwungen würde, Baku, Eriwan auf dem Monitor, dorthin sollte er reisen, sollte nur noch Berichterstatter sein, spätestens wenn er aus Rom zurück ist oder mit Großvater zu Ende. Almaty jetzt, ein größerer Maßstab, Kabul, wo er seinen ersten Bericht fortsetzen müßte, weil sich der Nordatlantikpakt ein Jahr später nicht einmal mehr mit Schutzweste aus dem Panzerwagen traut, Tel Aviv, wo selbst die eigenen Freunde nicht mehr wissen wollen, was siebzig Kilometer östlich hinter der Mauer geschieht, Bagdad, das schon zu Science-fiction geworden ist, Expedition auf dem feindlichen Planeten, Aschghabad, die »Stadt der Liebe«, Teheran. Auch in Indien hat die Zeit nicht gereicht, mindestens die Lager der vertriebenen Pandits hätte er besser noch besucht. Nun ist es eben so, daß auch dieser Bericht unvollständig sein wird. Kümmerte ihn der Einwand, daß darin Muslime nur Opfer sind, unterwürfe er sich der Logik, die ihn zum Muslim macht. Weshalb er sich ihr verweigern muß, lehrt auch heute kein Land besser als Indien.
    Das Problem des Reisens in jenen Jahren bestand nicht nur darin, daß es kein anderes Fortbewegungsmittel als die Pferdekutsche gab. Es gab auch keine Rasthäuser oder Gasthöfe. Die Reisenden mußten in den Ställen übernachten, wo die Pferde ausgetauscht wurden, oder auf dem Fußboden dreckiger Teehäuser. Um so dankbarer war Großvater, ein Empfehlungsschreiben seines Freundes Ezzatollah Chan Alaí für die örtliche Bahai-Gemeinde mit sich zu führen, als er wegen starken Schneefalls in Hamedan festsaß. »Obwohl sie wußten, daß der ungeladene Gast kein Bahai war und sich der Aufenthalt wegen des Wetters hinzog, ließen sie es an Gastfreundschaft und Herzlichkeit nicht fehlen.« Tage und Nächte diskutierten sie über Religion, die Bahais beseelt von ihrer neuen Wahrheit, Großvater inzwischen durch viele Glaubensdispute geschult, seine Wahrheit zu verteidigen, obwohl ringsum die Wirklichkeit nicht viele Argumente bot. So klagten die Gastgeber über die Benachteiligungen, unter denen Bahais in einer kleinen Stadt wie Hamedan ungleich stärker als in Teheran litten, und schämte sich Großvater wieder einmal dafür, was im

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