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Staatskarosse fuhr, trifft der Berichterstatter diejenigen Menschen, die niemals winken würden: Gespräch mit dem Filialleiter einer Bank, der auf die Inder schimpft, die seine Bank bewachen, und sich das islamische Reich herbeiwünscht, neben ihm seine unverschleierte Angestellte, die die Augen verdreht. Der Kampf sei noch lange nicht zu Ende, nur unbewaffnet jetzt eben, aber keinesfalls an Wahlurnen zu gewinnen, die die Inder bereitstellen. Am Ende wäre der Filialleiter aber mit dem gleichen zufrieden wie die Anglistin, der Kommunist, der schiitische Führer, die Koalitionspartnerin und seine Angestellte: Autonomie und offene Grenzen. Das ist dem Berichterstatter schon auf vielen Reisen aufgefallen: Die Konflikte, die so hoffnungslos verfahren wirken wie zwischen Israel und Palästina oder in Afghanistan, sind die Ausnahme. Die meisten Kriege, etwa in Aceh, in Tschetschenien oder eben auch in Kaschmir, wären lösbar, die Bereitschaft zum Kompromià hat sich längst eingestellt â es müÃte sich nur jemand interessieren, Druck ausüben auf die Akteure, wie es nach dem Tsunami tatsächlich in Aceh geschah, als innerhalb von Monaten Friedensverhandlungen nicht nur begonnen, sondern zum Abschluà geführt wurden. Die hochgewachsenen, sportlichen Männer, beide Mitte DreiÃig und Familienväter, Informatiker der eine, Versicherungsberater der andere, führen ihn durch ihre Kleinstadt, in der keine Häuserwand steht ohne Einschläge von GeschoÃgarben. In der Gegend hier lag das Zentrum des Aufstands. Am Rande eines FuÃballplatzes setzen sie sich auf die Wiese. Der Informatiker hat früher in der U19 von Kaschmir gespielt. Was die Armee alles verbrochen hat, Durchsuchungen, ErschieÃungen, Vergewaltigungen â die immer gleichen Berichte, jeder hat hier eine Schwester, einen Vater, einen Sohn, den es traf. Der Versicherungsberater zieht seinen Pullover hoch, um die Narben zu zeigen. Aber es stimme, jetzt bemühten sich die Inder, Vertrauen zurückzugewinnen, auch die Armee selbst. Die Regierung habe ein paar Entwicklungsprogramme aufgelegt, soziale Einrichtungen eröffnet, ein wenig Geld in die Schulen investiert. â Aber wenn jemand drei Söhne durch Armeekugeln verloren hat, wird er den Indern nicht mehr vertrauen, meint der Versicherungsberater. Er habe die Hoffnung auf Freiheit nicht aufgegeben, doch müsse man schlieÃlich auch leben, die Kinder ernähren. Hätten sich Anfang der neunziger Jahre alle jungen Leute der Stadt für den Widerstand engagiert, seien es heute nur noch fünf Prozent. Der Informatiker hält selbst diese Zahl für übertrieben: Hier wollen hundert Prozent der Leute nur noch Frieden. â Vielleicht wird es der nächsten Generation gelingen, die Freiheit zu erlangen, hofft der Versicherungsberater, aber der Informatiker fragt: Willst du etwa deinen Sohn kämpfen sehen? In der Abenddämmerung nimmt der Versicherungsberater den Berichterstatter in sein Dorf mit, einst eine Festung der Islamisten. Besuch beim Ãltesten, einem Greis mit Stoffmütze und weiÃem Rauschebart, Wangen und Oberlippe rasiert wie ein ostfriesischer Fischer, der so liebenswürdig ist wie der Weihnachtsmann und als einziger an diesem langen Tag dem bewaffneten Widerstand noch das Wort redet. Kalifat und Demokratie wünscht er sich, so ähnlich wie in Saudi-Arabien. â Aber in Saudi-Arabien gibt es doch kein Kalifat und schon gar keine Demokratie, bemerkt der Berichterstatter. â Ja, also nicht ganz wie in Saudi-Arabien, so ähnlich. Sein Islambild sieht für die Frauen die Burka vor, die in seinem Dorf keine einzige Frau trägt, nicht einmal ein Kopftuch, nicht einmal die Frauen in seinem eigenen Haus, die den Berichterstatter anders als dessen indischen Zimmernachbarinnen auf dem Hausboot mit einem freundlichen Lächeln begrüÃen. Nebenan quatschen die Frauen und quatschen. Den Ãbergang zum Luftholen stellt sich der Berichterstatter bei ihnen wie beim Staffellauf vor, so, daà immer jemand redet. Zwischen den Sätzen haben sie jedenfalls keine Zeit zu atmen. Laut sind sie nicht, aber eben auch nicht so melodiös wie ein Wasserfall. Worüber reden sie nur? schimpft der Berichterstatter in Gedanken: Was haben sie denn heute schon erlebt, Ausflug mit Kindern und einem wortkargen Mann zu einem der Mogulgärten, Fahrt mit der Gondel. Viel würde er geben für eine
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