Dein Name
Wache hält, er soll sofort herkommen. Zurück im Zimmer, fragt er die beiden jungen Isfahanis, ob sie einen Tee möchten. Ja, antworten sie, um nicht unhöflich zu sein, und werfen sich ratlose Blicke zu, als sie statt des Tees heiÃe, bräunliche Milch mit einem undefinierbaren Geschmack trinken, die der Gouverneur hinter seinem Schreibtisch aus einem dampfenden Messingpott eingegossen hat. Der Mufti, der sich keine Viertelstunde später in die zweite Etage der Kolonialverwaltung quält, trägt einen Fez, einen langen, weiÃen Bart und hat merkwürdigerweise ein ebenso rotes Gesicht wie der Gouverneur, so daà die beiden jungen Isfahanis beinah lachen müssen über die farbliche Einheit von Staat und Kirche in Samarra. â Ist das Glücksspiel im Islam erlaubt oder verboten? fragt der Gouverneur den Mufti auf arabisch. â Es ist verboten. â Und was ist Ihre Aufgabe als Mufti? â Auf die Einhaltung der religiösen Gebote zu achten. â Und wieso ist es dann üblich, daà in den Teehäusern der Stadt Backgammon gespielt wird, sogar im Teehaus neben dem Schrein des Imam Askari? â Das ist mir nicht bekannt. â Und wieso ist es Ihnen nicht bekannt, wenn es nicht nur die ganze Stadt weiÃ, sondern sogar diese beiden jungen Männer aus dem fernen Isfahan? Da der Mufti mürrisch schweigt, tritt der Gouverneur wieder auf den Balkon: Kraft meines Amtes, ruft er nach unten, befehle ich hiermit der Polizei, sämtliche Glücksspieler in der Stadt festzunehmen, insbesondere die Glückspieler am Schrein des Imam Askari! Welche Polizei? fragen sich die beiden jungen Isfahanis und staunen um so mehr, als eine halbe Stunde später die ersten Backgammon-Spieler zum Gouverneur gebracht werden, der sie nach fünfminütiger Verhandlung zu Peitschenhieben verurteilt, Einspruch ausgeschlossen, das Urteil augenblicklich auf dem Platz vor der Kolonialverwaltung zu vollstrecken. Nicht nur die beiden jungen Isfahanis schauen betreten zu Boden, auch der Mufti. â Kommen Sie bitte mit auf den Balkon, fordert der Gouverneur sie auf.
Bald herrschte Aufruhr in Samarra. Gegen Abend trat der Gouverneur nochmals auf den Balkon und erklärte der Menge, die sich aus Protest oder zum Teil vielleicht doch aus Zustimmung versammelt hatte, daà die Behörden fortan mit aller Entschiedenheit gegen das schändliche und unislamische Laster des Glücksspiels vorgehen würden. Den Mufti, der nach wie vor neben dem Gouverneur stand und offenbar niemals mehr aufzuschauen gedachte, forderte er auf, ein entsprechendes Gutachten zu erstellen, eine Fatwa. Die Bewohner und Pilger der Stadt bat er, mit den Behörden zusammenzuarbeiten und schändliches, unislamisches Verhalten umgehend zu melden â so wie es zwei junge Männer aus Isfahan heute mittag allen Gläubigen zum Vorbild gegeben hätten. Noch in der Nacht wurde das Kommuniqué mit der Anordnung des Gouverneurs in der ganzen Stadt plakatiert. Auch ohne die Erklärung, die GroÃvaters gelehrtester Freund sich an dieser Stelle gewià gewünscht hat, kann man sich denken, was der Gouverneur bezweckte und welche Vergleiche mit den heutigen Besatzern des Irak zu ziehen wären. Erreicht hat der Guoverneur, daà GroÃvater und Mirza Abdolhossein am nächsten Morgen aus Samarra fliehen muÃten. Damals gab es keine Brücke über den Euphrat, und wer die Stadt verlassen wollte, muÃte sich in einem der Bötchen, die an einem Seil gespannt waren, ans andere Ufer ziehen lassen. Die Fährmänner weigerten sich, die beiden jungen Isfahanis überzusetzen. Auf GroÃvater deutend, sagte der eine auf arabisch: Der da ist der Anführer. â Dieser Pimpf da? fragte sein Kollege. â Ja, er ist es, der den Gouverneur aufgehetzt hat. Den darauffolgenden Fluch gibt GroÃvater genausowenig wieder wie die Flüche Mirza Abdolhosseins im Teehaus und alle anderen Flüche, die ihm jemals zu Ohren gekommen. Aus Sorge, in Samarra zu enden wie Imam Askari, boten die beiden jungen Isfahanis den Fährmännern so unverschämt viel Geld für die Ãberfahrt, daà sie sich vor dem Mob doch noch retten konnten, von dem GroÃvater im Rückblick nicht mehr sicher ist, ob es ihn wirklich gab oder er ihn sich in seiner Panik nur einbildete. Weiter zogen die beiden nach Kufa, wo Imam Ali ermordet, und Nadschaf, wo er begraben wurde. Zurück in Bagdad, trennte sich
Weitere Kostenlose Bücher