Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
Klavierunterricht. Gewiß steht der Handlungsreisende zu dem, was er feilbietet. Von der Qualität seiner Staubsauger ist er überzeugt. Nur könnten es genauso hochwertige Autos sein, Käse oder Polstermöbel, heute Hamburg, morgen Potsdam, übermorgen weiß nicht wo. Die freundliche Lesart der hiesigen Verhältnisse, für die er sich entschieden hat, macht es ihm leichter, die Zuhörer sind nach seinen Präsentationen beschwingt, niemand beschimpft ihn, niemand hält den Koran in die Höhe, um mit schriller Stimme zu zitieren. Er selbst fühlt sich halb erleichtert, halb bestätigt, so vielen gutwilligen Deutschen zu begegnen. Manchmal ist das Affirmative kritisch, in der allgemeinen Hysterie Gelassenheit subversiver: dem Gegenüber zu sagen, daß er tolerant ist, damit er es je nach dem bleibt oder wird. Und es stimmt ja auch, es stimmt zumal nach Reisen, daß er keinen Grund hat, über Europa zu jammern, jedenfalls ganz andere Gründe als die Integration. Der Eindruck, engagiert zu sein, rührt vor allem daher, daß er zu schnell redet und mehr gestikuliert als die meisten Nordeuropäer. Erst gestern war er auf dem Geburtstag der Älteren wieder von der Selbstverständlichkeit begeistert, mit der die neun Kinder aus fünf Ländern miteinander umgingen – zu seiner Schulzeit wurden die Dunklen noch in Ausländerklassen versammelt, damit sie sich nicht mit den Deutschen mischten –, ebenso von den Möglichkeiten, die Städte wie Köln heutzutage Familien bieten, ohne daß es protzig wird oder elitär, diese Kletterhalle mit den begeisternden Trainern, in der gegen sieben das Frisieren für Afrika begann, sechs Friseure, die den Kletterern die Haare schnitten, um Geld für eine Schule in Mosambik zu sammeln, grün-alternatives Milieu zwanzig Jahre später, von den Kletterinnen geschätzt die Hälfte lesbisch. Der ganze Nachmittag hatte einen Ton unaufdringlicher, nicht mehr politisch auftretender, aber noch nicht gar zu kommoder Mitmenschlichkeit. Mit der Frühgeborenen, der Schwägerin, die wie jedes Jahr beim Geburtstag mithalf, und drei Jungen fuhr er nach Hause, wo zwei Väter bereits auf dem Bürgersteig warteten, deutscher Beamter und türkischer Arbeiter, der an der Wohnungstür fragte, ob er die Schuhe ausziehen solle – ob man die Schuhe hier auszieht. Wie er mit ihnen am Küchentisch auf die fünf Mädchen wartete, dachte der Handlungsreisende an die junge Soziologin, mit der er lieber auf einer Matratze getratscht hätte, als in Mannheim oder war es in Mainz? zu debattieren, ob die Gesellschaft immer weniger Orte biete, an denen sich Arme und Reiche treffen. Sie hatte es natürlich komplizierter gesagt. Von Segregation hatte sie gesprochen, was soziale Trennung heißt, wie der Handlungsreisende in der digitalen Enzyklopädie nachschlägt, und damit die Lage der Einwanderer noch in der zweiten, dritten Generation gemeint. Auf der Matratze hätte er sie dann irgendwann gefragt, wie sie es mit der Vereinigung hielte. Es stimmt schon, den türkischen Arbeiter, der sich die Schuhe also nicht auszog und zugleich gewiß registrierte, daß der Gastgeber es tat, diesen also doch als Orientalen einstufte, einen besonders höflichen oder verweltlichten Orientalen, der Gästen erlaubt, die Teppiche mit Schuhen zu betreten, das lief alles mit Sicherheit in den paar Sekunden durch den Kopf des Arbeiters, in denen er durch den Flur mit den hohen Bücherregalen schritt, ihn hätte der Handlungsreisende sonst nur mit blauem Kittel in der Autowerkstatt oder durch die Fensterscheibe des Teehauses gesehen, wo die Männer selten die Jacken ausziehen, als sei es in Deutschland selbst in geschlossenen Räumen zu kalt, und nun saß er, der türkische Arbeiter, am Küchentisch, ein gestandener Kerl, jetzt verschüchtert, und nickte, als der Handlungsreisende mit dem deutschen Beamten, der nichts von den höllisch lauten Freizeithallen hielt, in denen Geburtstage oft stattfinden, die Vorzüge der Kletterhalle besprach. – Können Sie sich das vorstellen, fragte der Handlungsreisende den Arbeiter, bestimmt dreißig Meter hoch ist Ihr Mädchen geklettert, das konnte der Arbeiter kaum glauben, dreißig Meter? meine Mädchen?, aber natürlich abgesichert, mit Seilen, beruhigte der Handlungsreisende ihn, und der Beamte versicherte, daß nichts hätte passieren

Weitere Kostenlose Bücher