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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Großvater von Mirza Abdolhossein, den er nie wiedersehen sollte, und fuhr mit der Fähre nach Basra. In Chorramschahr, das damals Mohammereh hieß, betrat er wieder iranischen Boden. Vielleicht als Strafe für den Glaubenseifer, mit dem er die Bevölkerung Samarras gegen sich aufgebracht, steckte Großvater über eine Woche lang in der Wohngemeinschaft eines Isfahaner Bekannten fest, in der jede Nacht gezecht, gespielt und manchmal gehurt wurde. Endlich fand er ein Schiff nach Buschher.
    Als er den Einladungsbrief in die Jacke stecken wollte, um zum Bahnhof zu gehen, las der Handlungsreisende, daß er heute abend nicht für Integration, sondern für Aufklärung gebucht sei. Da die Druckerpatrone im Büro leer war, mußte er samt Gepäck in die Wohnung zurückkehren, um einen anderen Vortrag auszudrucken, der mit ein paar Retuschen im Zug und improvisierten Exkursen als originelle Variation des Themas durchgehen könnte. Aufklärung hat er nicht im Angebot, das ist ein Mißverständnis, das er der Veranstalterin am Telefon noch einmal auszureden versuchte, während er das Büro verließ, nur um mit dem Zufallen der Tür zu bemerken, daß Schlüssel, Portemonnaie und Fahrkarte auf dem Schreibtisch lagen. – Hallo, sind Sie noch da? fragte die Veranstalterin am Telefon. Auf dem Weg zur Wohnung rief der Redakteur an, der das Benefizbuch mitsamt der heiligen Ursula in der Hand hielt und nun eine Serie von Bildbetrachtungen in Rom in Auftrag geben wollte, paßt es gerade?, und der Idiot von Handlungsreisendem antwortete auch noch mit Ja, obwohl es noch drei Monate sind bis Rom. Zu Hause konnte der Idiot die Dateien erst nicht laden, dann nicht drucken, dann doch drucken, aber einige Seiten des Altpapiers lagen falsch herum im Drucker, so daß er Seite vierzehn, achtzehn, zwölf oder keine Ahnung welche Seite neu ausdrucken mußte, indes er befürchtete, den nächsten, ohnehin zu späten und endgültig letzten Zug ebenfalls zu verpassen. Das »keine Ahnung welche Seite« ist nicht nur als Seufzer gemeint, sondern kostete ihn Minuten, da der Ausdruck nicht paginiert war. Gütig, wie sie ist, bot die Frau an, Schlüssel, Portemonnaie und Fahrkarte aus dem Büro zu holen. Der Vortrag paßt überhaupt nicht, stöhnte er zunächst, um dann, als die Frau schon zur Tür heraus war, zu rufen, daß er nicht mehr wolle. – Ist was? fragte aus dem Treppenhaus die Frau, die die Tür noch einmal geöffnet hatte. – Nein, nein, alles in Ordnung. Beeil dich bitte. Der Vormittag war auch schon so dahingeflossen wie verschüttete Milch auf dem kostbaren Teppich, mit Mails und der Korrektur eines Interviews zu keine Ahnung mehr was, hat wirklich keine Ahnung, gut, wenn er nachdächte, wüßte er’s wieder, aber am Dienstag, dem 20. November 2007, strengt er sich um 15:28 Uhr auf dem Handy an, weder an das Interview, nicht an Integration, sondern nur an die fast vier Stunden zu denken, die er im leeren Abteil vor sich hat, die Schuhe ausgezogen und die Füße auf die gegenüberliegende Sitzbank gelegt, vier Stunden ohne Ablenkungen, aus denen das Leben besteht, das er nicht wollte, nicht will und nicht wollen wird. Genauer gesagt sind es nur drei Stunden, weil er mindestens eine benötigt, um den Vortrag über die Mystik an die gebuchte Aufklärung anzupassen. Dabei fand er die Tage bis gestern, als die Ältere einen fröhlichen Geburtstag feierte, noch mehr als erträglich, schilderte dem Musiker in München den Ablauf, der sich jeden Herbst gleicht, nur manchmal mit literarischer Ware, die weniger einbringt, dafür weniger Nerven kostet, und erwähnte den Vortrag über Integration, den er, so kommt es ihm vor, bereits in achtzig Städten gehalten hat, obwohl es bislang nicht einmal acht waren (aber es werden noch achtzig). – Das ist super, sagte der Musiker, daß du dich so um das friedliche Zusammenleben bemühst. – Ja, das finden meine Gastgeber auch, antwortete der Freund aus Köln, ich werde oft dafür gelobt, daß ich bei meinen Vorträgen so engagiert wirke. In Wirklichkeit ist es mein Geldverdienst. Das Motiv, den Betrieb am Laufen zu halten, zu dem seine Familie geworden, gefiel dem Musiker noch besser. – Die denken alle, dir geht es um die Verständigung, dabei geht es dir darum, daß dein Kind etwas Ordentliches zum Anziehen hat. – Ja, auch den

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