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können, weil in Deutschland alles nach Vorschrift. Später ist die Familie mit der türkischen Freundin der Ãlteren und den GroÃeltern in der Gasse Pizza essen gegangen, vier Sprachen in ein und derselben Minute an ein und demselben Tisch wie in Isfahan oder New York. Statt der Wirtin steht jetzt meist die Schwiegertochter in der Küche, während der Sohn bedient und der Wirt die Abende beim Kartenspielen im Teehaus nebenan verbringt, wo vielleicht auch der Arbeiter gestern noch aufschlug. Fortan werden sich der Handlungsreisende und der Arbeiter ebenfalls begrüÃen, wenn sie sich in der Gasse begegnen. Noch drei Stunden, von denen jener eine benötigt, um die Mystik an die Aufklärung anzupassen.
Auf dem Schreibtisch liegt eine Wahlkampfbroschüre, die ich im Wohnzimmerschrank der Eltern in Siegen gefunden habe, »Lernt den Schafizadeh kennen«, zehn Seiten Autobiographie ohne fett- und rotgedruckte Slogans, ohne Kapitel, Zwischentitel, Thesen, Forderungen, auf dem Umschlag GroÃvater mit heruntergezogenen Mundwinkeln, der Stoppelbart, wie er ihn also schon Anfang der fünfziger Jahre trug, breite Krawatte und Nadelstreifenanzug, der kugelrunde Kopf mit der voluminösen Nase, wie er ihn noch Generationen weitervererben wird, die Glatze, die er also in der Ãra Doktor Mossadeghs schon hatte. Man wird neidisch auf die Zeiten, als Wahlkämpfer noch mit Nebensätzen sprachen. Zwei Seiten nimmt allein die Erklärung ein, warum er sich eigentlich nicht zur Wahl stellen wollte. Nun, mit achtundfünfzig Jahren und nach anstrengendem Berufsleben Pensionär, hege er keinen anderen Wunsch mehr, als sich aus der Gesellschaft zurückziehen und seine Unabhängigkeit zu genieÃen. Er wolle sich dem Studium widmen und um seine Ländereien kümmern, die er vernachlässigt habe. Allein, die Umstände, das Vaterland, die neuerrungene Unabhängigkeit, die es zu verteidigen gelte: »Ich fragte mich selbst, wenn nicht einige Studenten und Schüler voller Leidenschaft und Gefühle sowie einige andere, selbstlose Bürger in der stickigen, schaftrunkenen Atmosphäre Isfahans den Ruf nach der Nationalisierung des Erdöls erhoben hätten â wann und wie wäre es möglich gewesen, daà auch unsere Stadt an diesem Ruhm teilhat? Kann man denn vergessen, daà die Mehrheit unserer Intellektuellen zuviel Angst hatte, um ein Telegramm zu unterschreiben?« Ich weià nicht, welches Telegramm GroÃvater hier meint, vermutlich eine Solidaritätserklärung an den Premierminister. Ein Bündnis aus säkularen und religiösen Gruppierungen, die trotz ihrer Differenzen Mossadegh im Kampf gegen den Schah und die Briten unterstützten, hatte sich auf GroÃvater als gemeinsamen Kandidaten für den Wahlkreis Isfahan geeinigt, erläuterte die Mutter, als sie die Broschüre auf dem Wohnzimmertisch sah; seiner Herkunft, seinem ganzen Habitus und Denken nach gehörte er dem islamischen Lager an, wurde aber auch von den Säkularen akzeptiert. »Kann man denn heute, da nach beinah einem halben Jahrhundert, in dem die Freiheit erdrosselt worden ist, ein nationaler und ein religiöser Führer zuallgemeinen Wahlen aufgerufen haben, still sitzen bleiben und das Feld Gaunern sowie Agenten des Auslands überlassen?« Mit den Führern meint GroÃvater Doktor Mossadegh und Ajatollah Kaschani, der später für den CIA den Putsch einfädeln sollte. Daà der religiöse Führer die Nation verriet, wie es sich für GroÃvater nach 1979 wiederholte, muà für einen Frommen wie ihn eine gröÃere Enttäuschung gewesen sein als für die Intellektuellen, die die Religion ohnehin aus der Politik heraushalten wollten. »Nein, das kann man nicht. Deshalb stelle ich mich heute den lieben Mitbewohnern meiner Stadt Isfahan vor und erkläre, daà ich gegen meine eigenen Herzenswünsche, trotz meiner unpassenden persönlichen Situation, meinen vernachlässigten Ländereien und ohne den geringsten persönlichen Ehrgeiz, weder aus dem Wunsch, Karriere zu machen, noch aus Eitelkeit oder um zu prahlen, allein aus Opferbereitschaft und dem Wunsch, meinem Land zu dienen, den ich in mir auf stärkste Weise empfinde, und um mein Gewissen zu beruhigen, und ohne daà ich irgendwen von meinen Mitbewohnern persönlich bitten oder auffordern würde, bereit bin, diesen Dienst an der Nation zu leisten, auf daà sie, die
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