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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Achselzucken toleriert, nur Hölderlin findet niemand beschissen. Nein, der Leser, um Navid Kermani heute einmal so zu nennen, wenn ich nicht nur vom Enkel, Mann oder Romanschreiber sprechen will, der Leser findet Hölderlin nicht beschissen, das ist das falsche Wort, so spricht er nicht und denkt er nicht einmal. Ich möchte nur veranschaulichen, wie ungehörig sich die Respektlosigkeit gerade vor Hölderlin ausnimmt. Alle anderen darf man verulken oder verächtlich machen, bei allen gäbe es Gründe, die die Liebhaber nicht begreifen, die Buchhalter nicht vorsehen, die einen gleichwohl nicht diskreditieren, im Gegenteil womöglich sogar interessant erscheinen lassen. Er zieht Lessing durch den Kakao! schreiben sich Jungdichter seit jeher gern auf die Fahnen, Langweil mich bei Eichendorff! ist auch den Älteren nicht peinlich. Anders Hölderlin. Ausgerechnet dieser früh ausgeflippte Sonderling, den Goethe stets abwimmelte, ist der kanonische deutsche Dichter. Wie alle Literaten, die Hölderlin nicht ausstehen können, redet sich auch der Leser damit heraus, daß Hölderlin ihm fremd geblieben sei, er nicht soviel mit Hölderlin anfangen könne oder er es nicht so mit Hölderlin habe. Natürlich ist der Hyperion brillant, das bestreitet er sowenig, wie jemand von einem feinen Perserteppich behauptet, grob gewebt zu sein. Aber selbst der kostbarste Teppich kann so scheußliche Farben oder Muster haben, daß man mit keinem Himmelswesen darauf liegen wollte. Der Leser sieht, wieviel Philosophie und Gedankengeschichte der Hyperion bündelt, leugnet nicht den Wohlklang der Sprache, das Gefällige des Rhythmus, allein, es läßt ihn so kalt wie bei der ersten Lektüre vor zwanzig Jahren, wenn er nicht sogar kichern muß über die Anzahl der Erregungsbeschleuniger, die Hölderlin auf einer einzigen Seite unterbringt. Als ob Erregung bedeutet, über die Liebe zu philosophieren. Erregung ist Sex, ist Angst, ist Zweifel, Herzpochen, steifer Schwanz und feuchte Möse, Erregung ist, noch die Pißreste in ihrer Unterhose für Parfüm zu halten. Und von Liebe, verehrter Hölderlin, von Liebe sprich bitte erst, wenn deine Wallungen sich gelegt haben, wenn ihr euch gestritten und vor allem gelangweilt habt, wenn deine Liebe mit schiefem Mund neben dir schnarcht und ihre schlaffen Gesichtszüge die Erscheinung ihres Alterns vorwegnehmen, wenn ihr Schweiß dich nicht mehr erregt und der Geschmack des Urins, den du aus ihrer Möse geleckt hast, noch Stunden auf deiner Zunge liegt, dann erst, dann sprich über Liebe, Hölderlin – meint der Leser, der in seinen eigenen Romanen zwanghaft zu Peinlichkeiten und zur Fäkalsprache neigt, wo immer er über die Liebe schreibt. Einmal wenigstens spricht ihm Diotima aus dem Herzen, als Hyperion wieder eine halbe Seite buchstäblich ohne Punkt und Komma von dämmerndem Götterbilde, Idol meiner einsamen Träume, Hoffnung meines Herzens, Othem deiner Brust stammelt und sich gar, weil ihresgleichen geworden, in einem Ekstaseschrei zum Gott ausruft, der mit der Göttin spiele: »Aber etwas stiller mußt du mir werden, sagte sie.« Ja, ja, ja! Wer will schon einen Liebhaber hören, der im Bett nur himmlisch! göttlich! rufen würde, und wie eine Frau anmutig finden, die definitiv keinen Zungenkuß beherrscht. Blümchensex ist das, Bildungsonanie und Pennälerromantik, die Märchen aus Tausendundeiner Nacht im Vergleich so lebensnah wie Bergmans Szenen einer Ehe , die der Leser gleich Aufziehpuppen mit der Frau nachspielte, bevor der Roman einsetzt, den ich schreibe. Bestimmt verdankt sich sein Mißmut auch dem Eindruck, daß alle Szenen seiner Ehe ausgespielt sind, ohne daß der Film zu Ende geht. Den Schweiß seiner Frau roch er zum letzten Mal auf der Intensivstation, den Urin ihrer Möse in der Wäschetüte, die er aus dem Krankenhaus mitnahm. Ist Hyperions Schmerz von metaphysischer Dimension, hat der Leser nur die gewöhnlichste Not, die Liebe am Boden, zugleich die Frau schwer erkrankt, so daß der Gedanke an Trennung und so weiter. Und dann diese Lebensweisheiten, bei denen sich schon die Bundfalten seines ersten Philosophieprofessors vor Erregung wölbten: »Wer nur mit ganzer Seele wirkt, irrt nie!«, aber selbst die Lehrveranstaltungen seit zwanzig Jahren an zwei Tagen abgewickelt und fünf Monate Semesterferien, um die Seele ganz auf Kreta

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