Dein Name
baumeln zu lassen. Laà mich mit deinem Griechengedärm in Frieden, Hölderlin! schreit der Leser vielleicht auch deshalb so laut, weil er sich beobachtet wähnt, und feuert das Schnäppchen in die Ecke, Band fünf, um genau zu sein. Dabei hätte er nur aufmerksamer lesen müssen, um das Programm des Romans zu finden, den ich schreibe: »Wir bedauern die Todten, als fühlten sie den Tod, und die Todten haben doch Frieden. Aber das, das ist der Schmerz, dem keiner gleichkömmt, das ist unaufhörliches Gefühl der gänzlichen Zernichtung, wenn unser Leben seine Bedeutung verliert, wenn so das Herz sich sagt, du muà hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur daà du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurük auf Erden. Ach! und die Seele kann immer so voll Sehnens seyn, bei dem, daà sie so muthlos ist!«
Warum Djavad Ketabi? fragt der Vater, den der Sohn beim Besuch in Siegen um ein Photo bat. â Ach, er schreibe nur ein paar Erinnerungen an die Verstorbenen auf. Zu seiner Verblüffung scheint der Vater das Vorhaben nicht für abwegig zu halten; ihm leuchtet nur nicht ein, warum die Toten den Sohn erst ab dem letzten Jahr interessieren. Ãbrigens sei 2005 auch Herr Madani verstorben, möge seine Seele froh sein. Der Sohn erschrickt, weil ihm zu Taghi Madani auf Anhieb nicht mehr einfällt als zu Djavad Ketabi. Zudem nahm er an, das Totenbuchmit György Ligeti fürs erste abzuschlieÃen und bis zum nächsten Kapitel einen Roman wenigstens anzufangen, wie er ihn früher schrieb, sofern die Umstände es erlauben, die Liebe am Boden, zugleich die Frau und so weiter. Jetzt also noch Nikki Sudden, und dann Taghi Madani â es nimmt kein Ende, stöhnt er in Gedanken, kein Monat vergangen, schon hat der Roman, den ich schreibe, drei Kapitel mehr. Wie soll es erst im Alter werden, wenn die Gleichaltrigen einer nach dem anderen sterben, wie soll er noch zu etwas anderem kommen? Bereits jetzt spricht er mit keinem älteren Verwandten, Freund oder Bekannten, ohne sich zu fragen, wann er ihm »wohlverdient« nachruft, »verstorben«, »ruht« oder »schläft in Frieden«. Sollte er Sie kennen, Sie groÃgeschrieben, wird er beim nächsten Wiedersehen auch an Ihren Tod denken.
»Im Unterschied zu den Müttern unseres heutigen, goldenen Zeitalters hat meine Mutter ihre drei Töchter und drei Söhne noch alle mit der eigenen Milch genährt«, beginnt der GroÃvater seine Selberlebensbeschreibung, um erst einmal ein ausführliches Plädoyer für die Muttermilch zu halten, deren Vorzüge »die Gelehrten mit ihren wissenschaftlichen Instrumenten« schon noch herausfinden würden â nicht gerade ein mitreiÃender Einstieg für ein Buch, das eine allgemeine Leserschaft ansprechen sollte, bemerkenswert immerhin, daà der GroÃvater nicht nur biologische Gründe anführt, sondern auch die psychische Wirkung des Stillens hervorhebt sowie die regelmäÃige körperliche Nähe von Säugling und Mutter, die es mit sich bringe. Am Freitag, dem 27. Juli 2006, wird kein anderer als Nikki Sudden um 22:41 Uhr auf dem Laptop und 22:33 Uhr auf dem Wecker von einem noch wilderen Tango abgelöst. Um auf den Moderator anzustoÃen, dessen Sendungen er schon als Student mitschnitt, holt sich der Enkel ein weiteres Kölsch aus dem Kühlschrank im Erdgeschoà der Scheune und trinkt den zweiten Schluck auf den Anruf des Verlegers aus Zürich: Auf der Konferenz seien sich bis hin zur Sekretärin alle einig gewesen, im Frühjahrsprogramm alles auf den Roman zu setzen, den der Enkel als letztes schrieb. Gut, auf der pole position sind schon der vorletzte und vorvorletzte Titel angetreten, die trotzdem unter ferner liefen landeten. Jedesmal neu und so leicht euphorisch, überlegt der Romanschreiber dennoch, wem er als erstes den Roman vorlegen wird, den vor ein paar Absätzen allenfalls Nachfahren, Nachmieter oder NachlaÃverwalter lesen durften. Dem Verleger jedenfalls nicht! Indem er eine Veröffentlichung weiter auszuschlieÃen behauptet, hofft der Romanschreiber die Schwäche zu beheben, die womöglich seiner Tätigkeit als Berichterstatter und gewià seiner Eitelkeit geschuldet ist.
Â
Ich kenne von Nikki Sudden keine Platte, kenne von seinem Leben nicht mehr als den Lebenslauf, der auf seiner Website steht, kenne
Weitere Kostenlose Bücher