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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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zu mir nach oben in die Küche der Villa Jaffé kam, wo eine Armenierin, die ich immer wieder für solche Anlässe engagierte, persisch gekocht hatte. Es war eine seltsame, wunderbare Runde, wie sie sich in Deutschland spontan vielleicht nur am Wissenschaftskolleg bilden kann. Der ägyptische Koranforscher war dabei, der Dichter Adonis, einer der Biologen, andere Fellows und zwei, drei meiner Berliner Freunde. Ich war zu sehr damit beschäftigt, ein guter Gastgeber zu sein, um mich heute an Einzelheiten der Diskussionen zu erinnern, aber die Atmosphäre voller Herzlichkeit ist mir im Gedächtnis geblieben und daß selbst die Ältesten sich spät verabschiedeten.
    Ligeti auf Neil Young und mein eigenes Buch über Musik anzusprechen, traute ich mich nicht. Wenn ich mich nicht täusche, habe ich ihm nicht einmal von der Rezitation des Korans erzählt, obwohl es ihn interessieren mochte (sicher sein konnte man sich bei ihm nie). Ich traute mich nicht, ein Gebiet zu betreten, in dem er zu Hause war. Eher bemühte ich mich, so gut ich konnte seinen Wissensdurst zu stillen und die Gelegenheiten abzupassen, selbst einige Fragen zu stellen. Der Respekt vor diesem kleinen, weißen Mann war enorm. Selbst der indische Historiker, vor dessen Scharfsinn sich in unserem Jahrgang alle fürchteten, auf denen sein barmherziges Auge nicht ruhte, respektierte Ligeti. Gut, ein bißchen hat er über Ligeti gelacht, das haben wir alle, wenn Ligetis neunzehnjährige Freundinnen aus Asien zu Besuch waren (in Wirklichkeit war es immer die gleiche, mindestens Mitte Zwanzig und fürsorgliche Gefährtin seiner letzten Lebensjahre). Selbst wenn er über etwas schimpfte, die Borniertheit anderer, vorzugsweise deutscher Fellows und ärger noch: die Verbrechen, die mittelmäßige Interpreten an seinen Werken begingen, kicherten wir noch abends am Küchentisch der Inder. Nach einem Besuch in der Philharmonie stand der mexikanische Anthropologe neben Ligeti, als eine Gruppe deutscher Professoren sich willfährig dazugesellte (mit ihm brüstete sich jeder gern). Wie sie das Konzert fanden, fragte Ligeti sie. Hervorragend, großartig, sehr beeindruckend und so weiter, bis Ligeti ihnen das Wort abschnitt und mit einem Schießgewehr in der Stimme bemerkte, daß es die miserabelste Aufführung eines seiner Werke im letzten halben Jahrhundert gewesen sei, wie ein Tauber hätte hören können.
    Ligeti konnte schroff sein. Bei besonders sensiblen, ja mitfühlenden Menschen habe ich oft bemerkt, daß sie ihr Mitgefühl schützen, indem sie es von Hinz und Kunz fernhalten. Sie stehen dann im Rufe der Arroganz und Unnahbarkeit. Bei Ligeti mochte etwas davon im Spiel sein, wie seine merkwürdig scheuen, furchtsamen Augen verrieten, die klein und meiner Erinnerung nach grün waren. Mehr noch war es jedoch Ehrlichkeit, die er sich leistete, die beherzte, notfalls unhöfliche Ehrlichkeit eines Kindes. Das Kindliche wäre überhaupt eine Spur, die zu seinem Geheimnis führen könnte. Das klingt verwunderlich angesichts der Komplexität seiner Kompositionen, die alles Gefühl unnachgiebig zugunsten der Konstruktion zurückzudrängen scheinen, alle Eingängigkeit zugunsten der Konsequenz. Gleichwohl glaube ich, daß die Durchdachtheit seiner Werke, die dem romantischen Begriff des Künstlers als Naturgenie und seiner Kunst als Ausdruck der Seele widersprach, in etwas Kindlichem gründete. Noch im Alltag war das Kind in Ligeti zu erleben, wenn er uns zum Beispiel erklärte, was er über die Echolokation der Fledermaus gelernt hatte. Einem Zeichen, einer Klangfolge oder einem tonalen Verhältnis blieb er fanatisch auf der Spur, vergaß alles und jeden um sich herum, bis er die Logik entdeckt hatte wie Kinder im Wald ihr Hexenhäuschen. Entdeckung, ja, das wäre auch ein Stichwort. Wenn er über seine Kompositionen sprach, klang es nicht, als habe er sie geschaffen; eher schien es, als habe er entdeckt, was schon vorhanden war und im Prinzip andere ebensogut hätten entdecken können. Daß in dem Häuschen gezaubert wurde, klang wie die natürlichste Sache der Welt, also mehr oder weniger wie die Schöpfung. Den lieben Gott stellt man sich auch als kleinen Mann mit weißen, etwas wilden Haaren vor.
    Â 
    Auf Goethe dürfen deutsche Literaten pfeifen, auf Schiller, Rilke, Celan und Thomas Mann, selbst bei Kleist und Kafka wird

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