Dein Name
das Verrückte war: Sie spielten immer besser.
Nikki Sudden konnte sich nicht mehr gerade halten. Er torkelte über die kleine Bühne, trat aus Versehen ins Schlagzeug, warf die Gitarren in den Ständern um, wollte sich am Mikrophonständer festhalten, den er ein ums andere Mal verfehlte, stürzte mehrfach, sang ohne Mikrophon weiter oder auch nicht, spielte auf dem Rücken liegend Gitarre, daà es im Wortsinn krachte, hörte gar nicht mehr auf mit dem Song, wollte sich grinsend aufrichten, tat so, als sei er Jimmy Hendrix und alles eine Show, kam jedoch nicht oder nur mit Hilfe seines ebenfalls strauchelnden Bassisten wieder auf die Beine und schwankte gleich wieder so bedrohlich, daà er jeden Augenblick wieder hinzufallen drohte, obwohl er sich wirklich um Halt bemühte, denn das war keine Show, das war ein Konzert von Nikki Sudden und das nackte, orgiastische Vergnügen, ein Rausch, aus dem man nur mit einem Raubtier von Kater erwacht. Verständlich, daà man dafür mit dem Bulli und Freundinnen aus Berlin anreist, wobei sie die sieben- oder achthundert Euro Gage bereits auf den Autobahnraststätten verpraÃt haben sollen, wie es auf unserer Weihnachtsfeier hieÃ.
Unmittelbar nach dem Konzert, das nach etlichen Zugaben gegen Mitternacht zu Ende ging, verblüfften mich Nikki Sudden und seine Band ein weiteres Mal: Sie wirkten geradezu nüchtern. Während mir vor Erregung noch der Kopf dröhnte, standen sie zusammen mit ihren Freundinnen an der Theke wie andere Leute, nur daà sie etwas lauter redeten, ihre Freundinnen ungleich jünger, hübscher als alle Frauen im Publikum waren und vor allem Nikki Sudden eben aussah wie ein echter Rock ânâ Roller, schwarzer Samtfrack, weiÃes Rüschenhemd, zerzauste Haare und Furchen im Gesicht so tief wie die von Billy Talbot, als ihm Paul und Linda McCartney im Year of the Horse einen Blumenstrauà überreichen. Ich bin der letzte, der den Alkohol verklärt, und war seit einer Nacht Anfang der neunziger Jahre im Kairiner Stadtteil Agouza, als ich am nächsten Morgen allein und vollgekotzt im Bett der Freundin erwachte, mit deren Freundin ich auf der Party herumgemacht hatte, nicht mehr besinnungslos betrunken gewesen und möchte es auch nie mehr sein. Neil Young, dem Nikki Sudden so grandios huldigte, ist nur eines von mehreren Beispielen dafür, daà sich Rock ânâ Roll auch mit Ehefrau zu Hause und Evian auf der Bühne vertragen kann. Jedoch zu Nikki Sudden gehörten die Drogen genauso dazu wie der Sex, der anschlieÃend den Geschäftsreisenden in den umliegenden Zimmern des preiswerten Hotels den Schlaf geraubt haben soll. Um manche, die so gelebt haben und darüber gestorben sind, ranken sich Mythen. Nikki Sudden hingegen war in Berlin gestrandet und fuhr mit dem Bulli zu den Konzerten. Aber es war das gleiche Leben und der gleiche Tod: Better to burn out than to fade away .
Ich bin mir nicht klar, wie gezielt Nikki Sudden den Alkohol einsetzte. Daà er gleich nach dem Konzert bei BewuÃtsein zu sein schien, spricht dafür, daà er sich für den Auftritt vorsätzlich in einen Rausch versetzte wie viele Mystiker, wenngleich mit rabiateren Mitteln. Dann hätte er bereits den Vorlauf auf den Autobahnraststätten eingeplant, um einen Grundgehalt an Alkohol im Blut zu konservieren, der ihn in die Lage versetzte, während des Konzerts mit nur ein, zwei Wodkaflaschen jenen Zustand zu erreichen, in dem er sich in der Musik vergaÃ. Vielleicht war es so. Vielleicht hat Nikki Sudden auch einfach zuviel gesoffen.
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Als die Eheleute sich am Sonntag, dem 30. Juli 2006, in der Eingangshalle des St. Margarete nach einem Monat wiedersahen, lieà die Frau den Mann ohne BegrüÃung links liegen, worauf dieser sich bis zum Abschied um halb neun darauf beschränkte, der Frau ihre Tochter und der Tochter ein unterhaltsames Beiprogramm bis hin zum Freizeitpark mit Sommerrodelbahn zu bescheren. Keine vier Stunden später am Telefon, 18:38 Uhr auf dem Laptop, tutâs der Frau wie gehabt leid und ist der Mann wie gehabt zu verletzt, um ihre Entschuldigung anzunehmen. Machâs gut. Du auch. Vielleicht sollte er, den die Ehe zum Experten macht, doch einen Artikel über den Krieg schreiben. Bis jetzt hat er sich bei der Zeitung mit einem Krankheitsfall in der Familie herausgeredet, aber in Wirklichkeit fiel ihm kein Argument ein, das nicht voraussehbar wäre.
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