Dein Name
nicht das Umfeld, in dem er Musik gemacht hat, kenne nicht seine Vorbilder (nur daà er ein Buch über Ron Wood schreiben wollte, las ich im Internet), nicht seine Fans und die Meinung der Kritiker. Nicht einmal einen Nachruf habe ich registriert. Gemeinsam mit schätzungsweise hundert weiteren Männern und einigen Frauen habe ich lediglich ein Konzert von Nikki Sudden im Kölner Blue Shell an der Luxemburger StraÃe besucht, das mich viel über den Rock ânâ Roll gelehrt hat und das Leben als Künstler. Es hat mich gelehrt, daà Mythen wahr sein können, aber nicht schön.
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Nikki Sudden (geboren als Adrian Nicholas Godfrey) (19. Juli 1956 London; 26. März 2006 New York City) ( Bildnachweis )
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Bis zum Konzert kannte ich ein einziges Stück von Nikki Sudden: eine Coverversion von »Captain Kennedy« auf einem Sampler aus den achtziger Jahren, mit dem die damals bekanntesten Independent, Punkrock- und Grungebands Neil Young huldigten. Ich weià nicht, wer auÃer Nick Cave und Sonic Youth noch alles vertreten war, da kaum eine der Versionen ans Original reichte. Im Ohr geblieben ist mir Nikki Sudden, dessen Tribut mir so gut gefiel, daà ich es auf einer Kassette aufnahm. Es war ein Mitschnitt der Sendung Speak Easy auf WDR 1 , die ich als Zwanzigjähriger jeden Sonntagabend hörte; am Ende der Kassette waren noch ein paar Minuten frei geblieben, und die Entscheidung, welches Stück ich mit ins Auto nahm, fiel auf Nikki Suddens »Captain Kennedy«, das aus nichts besteht als dem Notwendigen: laut aufgedrehter Baà aus wenigen Griffen, ein Schlagzeug, das gleichsam ohne Schall nach vorne peitscht, und darüber der rotzige Gesang und die fanfarenartige E-Gitarre im Wechsel. Da die Qualität der Aufnahme ungleich besser und ihr Pegel höher eingestellt war als der Mitschnitt aus dem Radio, wirkten die Trommelwirbel, mit denen das Stück beginnt, und die Gitarre, die rasch einsetzt, jedesmal wie ein Weckruf.
Danach las ich den Namen erst wieder knapp zwanzig Jahre später auf einem Plakat in der Kneipe, in die ich gehe, wenn ich ausgehe. Ich konnte es kaum glauben: Nikki Sudden, den ich für eine Art Weltstar hielt, weil auf einem Album mit den bekanntesten Bands seiner Generation vertreten, Nikki Sudden, den ich kommerziell in einer Liga mit Nick Cave und Sonic Youth wähnte, spielt im kleinen Blue Shell an der Luxemburger StraÃe, und der Veranstalter war der einzige Verein, dem ich angehöre. Er hat sich laut Satzung zu dem Zweck gegründet, den australischen Rockmusiker Roky Erickson nach Köln zu holen, der wegen Flugangst keine Konzerte in Europa gibt. Weil Roky Ericksons Manager nicht einmal mehr auf unsere Mails reagiert, organisieren wir solange andere Konzerte, zu denen wir immer schon gern gehen wollten. Da ich niemals an den Mitgliederversammlungen teilnehme, die wohlweislich nicht in der Kneipe stattfinden, schlieÃlich will man sich besprechen, sondern nur die Veranstaltungen und die Weihnachtsfeier besuche, bin ich allerdings selten in die Planung involviert und wuÃte nichts von der Sensation, bis ich das Plakat sah. Ohne Frage wäre ich zu dem Konzert gegangen, auch wenn es jemand anders veranstaltet hätte, aber daà es die eigenen Freunde waren, die den dafür gehaltenen Superstar nach Köln geholt und für mich wieder lebendig gemacht hatten, erfüllte mich mit Stolz und steigerte die Erwartung.
Vor oder während des Konzerts erfuhr ich, daà Nikki Sudden gar nicht aus England oder Amerika angereist war, sondern aus Berlin mit einem Bulli. Die Gage war auch nicht eben fürstlich, sieben- oder achthundert Euro für sich und die dreiköpfige Band inklusive Fahrt, wenn ich mich richtig erinnere, dazu die Ãbernachtung mitsamt Freundinnen sowie kostenlos Bier und Spirituosen, die unseren Verein weit mehr Geld kosten sollten als die Gage. Dabei hatte wir in den Doppelzimmern und auf der Bühne jede Mengen Flaschen ausgelegt, damit die Musiker ihre Getränke nicht teuer an der Theke bestellten. Natürlich fanden sich die Musiker bald dennoch an der Theke ein, denn mit einem solchen Durst hatten selbst die Trinkfestesten nicht gerechnet. Die knapp tausendfünfhundert Euro, die Nikki Sudden und seine Band während ihres Besuchs versoffen, liefern unseren Weihnachtsfeiern bis heute Gesprächsstoff. Spätestens ab der Hälfte des Konzerts waren sie sturzbetrunken â und
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