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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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vorbeigeht, ist allerdings die Renovierung des Teehauses gegenüber der Kneipe, als Symbol bedeutender sogar als alle Islamkonferenzen für die Zukunft Deutschlands: Fußboden aus Laminat, Tischdecken aus braunem Stoff und Stühle mit roten Sitzpolstern. Wer es sich so gemütlich macht, will also bleiben. Beinah sieht es wie ein Café von Deutschen aus oder sagen wir von Einheimischen. Geblieben sind die grellen Neonröhren an der Decke und die Wasserpfeifen im Schaufenster, die in allen Teehäusern des Viertels leider nur Dekoration sind. Rauchen kann man die Wasserpfeifen nur in den beiden arabischen Cafés, von denen sich das eine an die kleine Hörerschaft des multikulturellen Radiosenders richtet, die sich ihrer Toleranz versichert, indem sie das Radebrechen der Moderatoren erträgt; hingegen im anderen, größeren Wasserpfeifencafé ahmen die Kinder und Kindeskinder der Einwanderer im schummrigen Licht einer Opiumhöhle auf orientalischen Sitzkissen die Kultur ihrer Väter nach, die nebenan im Teehaus in Neonlicht auf harten Stühlen Zigaretten rauchen. Nette Kinder, die sich zu beschäftigen wissen, aber leider auch den Mitreisenden. Spätestens in einer Stunde werden sie sich zum ersten Mal streiten, weil der eine das will, was der andere gerade hat, oder zwei den Dritten ausschließen. Wie exakt Kinder sich gleichen, also auch die eigenen Töchter anderen, ist keine erhebende Erkenntnis, zumal man auch als Erwachsener Standard nur bleibt. Freitag nachmittag, kein einzelner Sitz frei, an einen anderen Tischplatz mit Steckdose gar nicht zu denken. Allenfalls könnte der Handlungsreisende sich zu jemandem setzen, der dann auf den Bildschirm lugen würde, der Speisewagen abgeschafft, weil jede Verkürzung der Fahrtzeit Milliarden kostet, ohne daß die Reisenden auch nur eine Minute gewinnen, da sie die Verspätung inzwischen fahrplanmäßig einkalkulieren. Und das im Land der Maschinen! würde Großvater sich wundern, der noch mit der Kutsche nach Teheran reiste und am Paß von Asadabad fast erfror, aber das Wirkungsprinzip kannte: je aufwendiger und mächtiger ein System, desto weitreichender bis hin zur Islamischen Revolution die Folgen eines einzelnen Störfalls, wie es in der Logik der schiitischen Geistlichkeit die Hinwendung Ajatollah Chomeinis zur Politik war. Der Junge ißt das Brot mit seinem … au ja, das ist sein Lieblingsschinken!, wie alle Welt erfahren soll. Die beiden Mädchen stehen auf den Stühlen, schalten die Leselampe ein und aus und ziehen das Rollo rauf und runter. Die Mutter liest aus der Zeitung vor, daß in zehn Jahren eine Bärenhungersnot in Kanada droht. Der Junge läßt den 4-Wheel-Drive mit Aufziehmechanik in straßenüblichem Lärm durch den Waggon sausen. Er soll achtgeben, niemandem ans Bein zu fahren, mahnt die Mutter. Einen vielleicht, aber drei Fünfjährige zusammen kann man nicht zur Ruhe zwingen, also versucht sie es gar nicht erst. Der Handlungsreisende wäre als Aufsichtsperson genauso langmütig. Eine Stunde schon unterwegs, 15:52 Uhr auf dem Handy am Freitag, dem 14. Dezember 2007, dazwischen liegen Schlafbemühungen, ein Cappuccino und die Suche nach einem anderen Platz … die in diesem Augenblick doch noch Erfolg hat, ein Einzelplatz am Abteilende, den er übersehen hatte, die Batterie bei 99 Prozent. Ich habe selbst Kinder, bestätigte er der Mutter, die kein schlechtes Gewissen vorgab, ihn vertrieben zu haben. Vormittags ist es im Teehaus gegenüber der Kneipe am buntesten, wenn die türkischen Rentner ihr Leben und am Nebentisch die schwarzen Nutten ihre Nacht bereden, dann auch noch die Müllmänner aller Länder zur Frühstückspause einkehren, Völkerverständigung in Orange wie auf dem Kirchentag. 66 Prozent, keine zwanzig Minuten später, auch die neue Batterie entlädt sich, als habe sie einen Platten, 63 Prozent. Der Nachbar hat das Teehaus noch nie betreten, sieht immer nur beim Vorbeigehen hinein. Jemand wie er mit kleiner Brille wäre dort viel fremder als die schwarzen Nutten oder deutschen Müllmänner. Dabei wartet er nur, daß sich das Teehaus eine seriöse Espressomaschine anschafft, wenn er schon keine Wasserpfeife rauchen kann, damit er sich nicht nur aus Neugier hineinsetzt. 23 Prozent. Das ist keine Batterie; das ist ein Massaker. – Ich habe dir nichts getan! kreischt eines der Mädchen durch den

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